ALLER ANFANG IST SCHWER

Keine Lust das Festivalwochenende am Donnerstag anzufangen? Kein Problem, aber am Freitag musst du vielleicht auf dem Parkplatz zelten.

Festivals, vor allem gute Festivals, wachsen. Das ist normal und niemand meckert, dass sich die Organisatoren des Dockville Festivals für einen zweiten, weit entfernten Zeltplatz entschieden haben. Nichtsdestotrotz war der Campingplatz direkt am Festivalgelände deutlich überfüllt und schlecht organisiert. All die Glücklichen, die einen freien Platz ergattert hatten und einen Moment Ruhe genießen wollten, wurden häufig genauso unschön überrascht. Zelt umstellen, Zelt abbauen, einen neuen Platz suchen – ein paar Menschen weniger, deutliche Markierungen und sympathische Security-Mitarbeiter würden die Atmosphäre und das Miteinander deutlich entspannter machen.

Foto: Hinrich Carstensen

Foto: Hinrich Carstensen

BIST DU GENUG ‘SZENE’?

Endlich angekommen. Zelt steht. Die Stimmung wieder top. Ab aufs Festivalgelände – Tag 0 Donnerstagabend.

Das Besondere an Donnerstagabenden auf Musikfestivals ist, dass man uneingeschränkt und lange feiern kann ohne besondere musikalische Highlights zu verpassen. Du, der DJ und eine sehr lange Nacht. Dennoch könnte man denken, manche Festivalbesucher genießen viel mehr ein intensives Gespräch auf der Tanzfläche als ein entspanntes Mitwippen. Und so bekommt man Gespräche mit, die einem lieber erspart bleiben könnten. Denn bitter schmeckt die Feststellung: Manche Klischees sind leider wahr. Zwei Berliner tauschen sich sehr laut über ihre Freunde aus. Man möchte nicht sagen, sie lästern. Er: „Also wirklich, ich dachte, Charlotte wäre ein bisschen mehr szene.“ Sie schweigt und nickt. Die Beiden haben sofort meine volle Aufmerksamkeit. „Ich dachte, sie kifft wenigstens.“ Sie sagt weiterhin nichts, wahrscheinlich kann sie nicht mehr. Danach folgen weitere Monologe des Szene-Spezialisten – Sex, Drugs & Rock’n‘Roll sind nicht weit davon entfernt.

NO DRUGS, ABER SOWAS VON ROCK’N’ROLL – TAG 1

Die Fülle an Acts auf Musikfestivals zwingt dazu, eine gewisse Strategie in der persönlichen Auswahl zu verfolgen. Oft entscheidet man sich zwischen: „Hab ich schon gesehen, schaue ich mir lieber was Anderes an“ und „Hab’ ich schon gesehen, genau deswegen schaue ich es mir nochmal an“.

Die Black Lips gehören definitiv zu den Bands, die man sich auch gerne zum fünften Mal anhören möchte. Schweiß, Staub und Bierdusche – klassisch fing der Freitagabend an. Danach wollte man seinen Rock-Pegel nur noch konstant halten. Etwas ruhiger und gesitteter ging es bei Jake Bugg zu. Der Junge Engländer schwieg sein Publikum die meiste Zeit an und schien, als stünde er in seinen Gedanken alleine auf einer kleinen Bühne. Seine Songs sind live genauso gut, wie auf der Platte und die Zeit verging viel zu schnell. Doch das Besondere und Erinnerungswerte an diesem Auftritt war unumstritten das Gitarrenspiel von Jake Bugg. Er wechselte zwischen zahlreichen Gitarren, änderte den Sound und überraschte mit hervorragenden Gitarrensoli.

jake bugg

Jake Bugg | Foto: Pablo Heimplatz

BIN ICH ZU ALT FÜR DEN SCHEIß?

Kontinuierlich wird das Publikum auf Musikfestivals jünger. Okay, zugegebenermaßen wird man selbst einfach immer älter. Tag 2: Nächstes Jahr penne ich in der Stadt.

Den Samstag möchte man, nach dem anstrengenden Freitagabend, gerne in Ruhe genießen, um sich desto mehr auf den kommenden Abend zu freuen. Das kühle Wetter auf dem Dockville hat es einem sogar möglich gemacht, lange zu schlafen. Das Wetter ja, die unternehmungsfreudigen Zeltnachbarn nicht unbedingt. Rumbrüllen, Flunkyball und Bier zum Frühstück – ja, ich bin zu alt für den Scheiß. So sehr das Publikum auf dem Festivalgelände angenehm durchmischt ist, so präsentiert sich der Zeltplatz sehr jung, sehr laut und leider Gottes, sehr musikuninteressiert.

Highlights des Tages: Breton, Hundreds und Gin Fizz.
Unser Geheimtipp: Die Containerbar “Zum Blinden Passagier” hält einen lange wach.

Foto: Hinrich Carstensen

Foto: Hinrich Carstensen

IT’S ALL ABOUT MUSIC

Es gab kleine Enttäuschungen und ja, das Zelten auf dem Dockville gehörte vielleicht nicht zu den schönsten Erlebnissen. Dennoch Tag 3: Die Musik macht alles wieder gut.

Der Sonntag gestaltete sich sehr musikintensiv. Groovy und soulig blieb er in meiner Erinnerung. Zur späteren Nachmittagstunde überraschten Glass Animals mit einem intensiv groovigen und unglaublich sympathischen Auftritt. Die Wirkung ihrer Musik beschreiben sie am besten selbst:

Makes mama throw her hands and flip around

— Glass Animals “Psylla”

Worauf Glass Animals eingestimmt haben, kam bei Chet Faker deutlich zur Geltung – Soul, Natürlichkeit und Unmengen an Sympathie, die der Australier ausgestrahlt hat. Mit seinen 26 Jahren wirkt er viel reifer und erfahrener und hat eine gewisse Weisheit, seine Musik und Persönlichkeit auf den Punkt zu bringen, ohne sich arrogant in den Mittelpunkt zu stellen. Ich nenne es Kunst.

Foto: Harry Horstmann

Chet Faker | Foto: Harry Horstmann

Das Interesse an Chet Faker war auf dem Dockville groß. Noch zahlreicher war das Publikum beim anschließenden Flume-Konzert. Damit haben die Organisatoren leider nicht gerechnet und so waren die drängelnden Menschenmassen etwas beängstigend. Leider zum zweiten Mal dieses Jahr bestätigt: Mehr ist nicht unbedingt besser.

Und 2015? Ein bisschen Arbeit an der Organisation des Festivals oder eine sichere Bleibe in der Stadt würden zur Entspannung jedes Besuchers beitragen. Vor allem musikalisch hat das Dockville sehr viel zu bieten und wird auch unsere Redaktion die nächsten Jahre nach Hamburg locken.