Das Europa, wie wir es bisher kennen, hat heute Nacht aufgehört zu existieren. Es ist das Europa, was wir bei Reisen schätzen, auf das man meckern konnte, auf das wir aber insgesamt sehr stolz sein konnten. Es war das Europa der friedlichen Integration verschiedener Nationen zu etwas Neuem, etwas Größerem, ein niemals zuvor in der Geschichte dieses Kontinentes vorhandenes Friedensprojekt. Unser Kontinent, der in der Vergangenheit so viele Male Kriege erlebt hat, schaffte von sich aus die EU, eine Organisation die den Friedensnobelpreis bekommen hat und mit ihr, das sei an dieser Stelle erwähnt, wir alle. Wir können also zu Recht stolz sein auf das, was wir Europäer geschafft haben. Offensichtlich ist es die Mehrheit der Briten nicht, denn mehrheitlich stimmten sie heute für den Brexit. Europa muss zukünftig ohne die liberale Stimme aus London auskommen. Was beim Referendum gesiegt hat, ist die Angst.  Wie konnte es soweit kommen? Was bewegte die Briten sich von unserem Kontinent zu verabschieden und lieber in die selbst gewählte Isolation zu gehen?

Natürlich liegt es zum Teil an den Eliten in UK, die es nicht vermocht haben bzw. es auch überhaupt nicht erst versucht haben, Europa positiv zu beschreiben. Denn wenn man die „In“- Kampagne der EU-Befürworter in den letzten Wochen verfolgt hat, muss man gestern unweigerlich mit einem unguten Gefühl ins Bett gegangen sein. Die Pro-Europa-Kampagne schürte Ängste und warnte vor einem EU-Austritt von Großbritannien. Sie erläuterte akademisch, welche Risiken nun augenscheinlich auf das Vereinigte Königreich zukommen werden – kurz sie appellierte an das Gehirn, nicht an das Herz. Bei dieser Entscheidung, deren ökonomische Tragweite den wenigsten Wählern wohl komplett bewusst gewesen sein wird, spielte aber das Bauchgefühl eine entscheidende Rolle.

Aber auch die Entscheidungsträger in Europa erweckten in den vergangenen Monaten, insbesondere während der Flüchtlingskrise des vergangenen Jahres, lange Zeit nicht den Eindruck, als ob sie wüssten, wie sie die EU den Bürgern in Europa näher bringen könnten. Zu starr und unflexibel agierten die Institutionen aus EU-Parlament und EU-Kommission. Zu lasch setzten sie ihre selbst gesteckten Ziele um. In Europa muss ein breiter gesellschaftlicher Diskurs in Gang kommen, in dem wir miteinander reden, wie wir uns alle die Zukunft Europas vorstellen.

Der Wähler in Großbritannien hat gesprochen. Auffällig ist auch die Altersverteilung bei der Wahl, besonders viele ältere Menschen sprachen sich für den Brexit aus, viele jüngere für den Verbleib in der EU. Das heißt im Klartext ein Diktat der Alten über die Jugend, obwohl doch die ältere Generation die Auswirkungen eines Brexits nur sehr viel kürzer erleben wird, als wir Jungen. Am Ende hat die Angst gewonnen, Angst vor der Bevormundung aus Brüssel, Angst vor zu viel Einwanderung aus der EU. Angst ist eine mächtige Emotion, das konnten wir gestern bei dem Referendum sehen. Angst ist aber eine schlechte Entscheidungshilfe, besonders als Grundlage für so eine wichtige Entscheidung.

Es ist heute ein Schicksalstag für Europa, ein Wendepunkt der Geschichte. Wie es mit der EU nach dem Austritt des Vereinigten Königreiches weitergeht, das ist heute noch völlig offen.