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2016 war auf vielerlei Art und Weise ein bedeutendes Jahr für die Popmusik. Einerseits im traurigen Sinne aufgrund der vielen Todesfälle, von David Bowie Anfang des Jahres bis Leonard Cohen vor ein paar Wochen. Andererseits veröffentlichten dieses Jahr auch die meisten der bedeutendsten Künstler unserer Zeit Alben, unter anderem Nick Cave, Kanye West, Beyoncé, Kendrick Lamar, Radiohead, A Tribe Called Quest, Frank Ocean, Bon Iver… Manche von ihnen konnten überzeugen und sind auch in unseren Reviews vertreten, andere lieferten trotz des Hypes eher Mittelmäßiges ab. Unsere Redakteurinnen und Redakteure präsentieren im Folgenden ihre Top 3, wobei auch jedes Album einen persönlichen Review erhalten hat. Viel Spaß beim Durchklicken und Stöbern, beim Nachhören und Überraschtwerden! Wir freuen uns schon auf 2017 und hoffen, dass ihr uns weiterhin die Treue haltet. See you on the other side!
Die Musikredaktion

Ansgar Wagenknecht

Fjørt – Kontakt

Stille…Kindergemurmel…plötzlich ein Basssound, der in die Knie zwingt, eine Gitarre die nochmal nachtritt und anschließend melodiös auf dem Hörer herumtanzt – dazu Gesang, besser: Geschrei, das durch Mark und Bein dringt. Bereits mit dem Opener „In Balance“ offenbaren Fjørt, was auf Kontakt Programm ist: Vor der Wucht des Aachener Trios gibt es kein Entkommen und losgelassen wird bis zum Ende des Albums niemand mehr. Dabei zeigt sich der Post-Hardcore von Fjørt auf ihrem Zweitling vielseitiger und zugänglicher als zuvor, ohne dabei die altgewohnte Härte zu verlieren. Kontakt ist gleichzeitig wuchtig und ausgefeilt, bietet ebenso Bretter, wie die bisher eingängigsten, zuweilen fast tanzbaren Melodien im Fjørt-Werk. Eine weitere Stärke der Platte sind die gewohnt sensiblen, oft sehr persönlichen, manchmal politischen Texte. Wenn Hell und Frings ihre Zeilen aus tiefstem Innern schreien, sei es um pure Verzweiflung auszudrücken oder ihrem Gegenüber ihre Wut ins Gesicht zu brüllen, zieht es einem ordentlich die Kopfhaut zusammen. So schaffen Fjørt mit Kontakt ein Album, das in seiner Dichte und Intensität wohl nicht nur in diesem Jahr seinesgleichen sucht.

Anspieltipps: „In Balance“ & „Kontakt“

Touché Amoré – Stage Four

Die Instrumentalisten der Kalifornier bieten auf Stage Four ihrem Frontmann Jeremy Bolm zum vierten Mal eine Bühne, um seine immerwährende Wut und Unzufriedenheit nach außen zu tragen. Dazu kommt eine Emotion, die sich als roter Faden durch die Lieder zieht: Trauer. Bolm verarbeitet auf dem Album, dessen Titel auch für das höchste, nicht mehr heilbare Krebsstadium steht, den Tod seiner Mutter. So traurig der Anlass für die Platte, so faszinierend ist ihre Umsetzung. Bolms Texte sind direkt, schonungslos und so emotional vorgetragen, wie man es von ihm gewohnt ist. Was Touché Amoré zu einer so großartigen Band macht, ist die Kombination aus Bolms Texten und deren musikalische Untermalung. Statt die Platte zu einem Sumpf aus Trauer und Depression anschwellen zu lassen, erzeugen die Instrumentalisten der Band sogar so etwas wie Zuversicht Denn neben pointiertem Post-Hardcore schwingt sich Stage Four zuweilen in luftige Post-Rock-Höhen auf – am besten nachzuvollziehen im Duett „Skyscraper“ mit Julien Baker. Stage Four ist traurig, wütend und depressiv und musikalisch zugleich so gut, dass man das Album genießen kann, ohne von seinem Hintergrund erdrückt zu werden.

Anspieltipps: „Palm Dreams“ & „Skyscraper“

Turbostaat – Abalonia

Turbostaat wagen sich im 17. Bandjahr an ein Konzeptalbum. Erzählt wird die Flucht einer Protagonistin ins fiktive Abalonia. Dabei umreißt das Quintett die großen Probleme dieser Zeit: Krieg, Flucht, Hass und Ignoranz aus allen Gesellschaftsschichten. Rahmenhandlung und Dramaturgie sind auf Abalonia zwar recht klar gezeichnet, die einzelnen Lieder bleiben aber in bester Turbostaat-Manier kryptisch und offen für Interpretationen. Am Ende ist unklar, ob die Protagonistin alle Widrigkeiten übersteht und tatsächlich Abalonia erreicht. Turbostaat bieten mit der sechsten Platte ihr bislang vielseitigstes Werk. Das beinahe funkige „Der Wels“, das ausufernde „Wolter“ oder „Eisenmann“, das bislang ruhigste Lied der Band, untermauern eindrucksvoll ihre musikalische Qualität. Doch wie immer hat alles Gute seinen Preis: Der ausgereifte Sound, der, dem Konzept entsprechend, kälter und distanzierter klingt als zuvor, lässt an mehreren Stellen Rotzigkeit und Härte vermissen. So ist Abalonia nicht das mitreißendste Turbostaat-Album, beeindruckt aber durch seine musikalische Vielfalt und erneut durch die Zeilen von Songschreiber Marten Ebsen.

Anspieltipps: „Wolter“ & „Abalonia“


Céline Marten

Hinds – Leave Me Alone

Hinds – das sind vier Spanierinnen, die auf Grund der nicht sehr rosigen Perspektive und finanziellen Lage junger spanischer Studenten ihr Studium abgebrochen haben und dafür Musik machen – und das mit riesigem Erfolg. Innerhalb weniger Zeit haben sie es geschafft auf unzähligen renommierten Festivals (z.B. Glastonbury) zu spielen und ihre Musik rund um den Globus bekannt zu machen. Ihr Motto lautet: learning by doing, Rock´n´Roll und Imperfektion ist die neue Perfektion. Das gibt ihrer Musik einen lässigen, unabhängigen, selbstbewussten und durchaus nicht perfekten Klang. Doch genau das macht ihren Erfolg in der Musikindustrie aus: Sie klingen nicht so makellos, glatt poliert und kontrolliert wie der Rest. Eine Mischung aus Lo-Fi, Indie Rock, Garage Punk und eine Prise Psychedelic Rock sind auf ihrem Debütalbum Leave Me Alone zu hören. Dass es sich um eine rein weibliche Band handelt, die Erfolg in einer vor allem männerdominierten Musikrichtung hat, bereitet einem beim Hören dieser Platte zusätzlich auch noch viel Spaß. ¡Viva Hinds!

Anspieltipps: „Chili Town“ & „Bamboo“

Drake – Views

Der kanadische Rapper Audrey Drake Graham, alias Drake, ist auf dem nordamerikanischen Kontinent schon lange ein Superstar. In Europa war er bisher jedoch vor allem als Feature unzähliger Rihanna-Songs bekannt. Mit seinem vierten Album Views hat sich dies nun geändert. Inhaltlich erstreckt es sich vom im Hip-Hop schon lange bekannten “harten” Männertypus (Leute, die sich mit ihm anlegen wollen usw.) bis hin zu einem gefühlvollen Mann, der über seine Familie, Frauen(probleme), Gefühle und Depressionen rappt/singt. Was Drake da macht, ist kein klassischer Hip-Hop. Vielmehr tritt er in Kanye Wests Fußstapfen und verbindet Hip-Hop mit Pop und Rap mit Gesang. Natürlich denkt man dabei gleich an die weltbekannten Nummern „Hotline Bling“ oder „One Dance“, die auf dem Album vorhanden sind. Aber Views bietet viel viel mehr als diese Singleauskopplungen. Wer Lust auf eine Mischung aus klassischen Rapnummern, Hiphopbeats, karibischen Rhytmen, gesanglichen Melodien hat, und ja, auch Rihanna darf natürlich nicht fehlen, sollte sich dieses Album auf jeden Fall zu Gemüte führen.

Anspieltipps: „Keep The Family Close“ & „Views“

The Last Shadow Puppets – Everything You’ve Come to Expect

Nach 8(!) langen, heiß ersehnten Jahren meldet sich das Projekt The Last Shadow Puppets, bestehend aus Alex Turner (Frontmann der Arctic Monkeys) und Miles Kane mit einem zweiten Album zurück. In der Zwischenzeit ist viel passiert: Die Arctic Monkeys haben drei Alben veröffentlicht, Miles Kane hat zwei Soloalben aufgenommen und seine Band The Rascals gibt es nicht mehr. Doch etwas hat sich nicht verändert: Die beiden sind Freunde geblieben, lieben immer noch die gleiche Art von Musik und experimentieren weiterhin gerne mit dem Orchester. Everything You´ve Come to Expect erinnert an 2008, aber passt dennoch unglaublich gut in die Gegenwart. Ein wenig psychedelisch, ein wenig 60er/ 70er Jahre Nostalgie, eine Menge britischer Akzent und die Erfahrung zweier Indierock-Ikonen und fertig ist das Meisterwerk.

Anspieltipps: „Aviation“ & „Everything You’ve Come to Expect“


Theresa Peters

James Blake – The Colour In Anything

James Blake, die größte Stimme der Post-Dubstep-Bewegung, liefert mit The Colour in Anything die Platte des Jahres. Selten haben Artwork und Albumtitel gemeinsam so viel Sinn gemacht. Ersteres stammt von Quentin Blake und nimmt farblich und gestalterisch das Thema des Albums auf. Selbst im tiefen Grau der Depression oder nach einer gescheiterten Liebe, noch immer die Farbe in allem zu erkennen – darum geht es. Blake selbst beschreibt die Weiterentwicklung in seinem, nun mehr dritten Studioalbum darin, dass sein Songwriting stärker geworden sei – zwischenmenschliche Kommunikation ist hier das tragende Motiv. Man bekommt somit wirklich das Gefühl, dass Blake nun endlich den Lyrics den Vortritt gewährt, umarmt von diesem eindringlichen und emotional aufwühlenden Blakesound. Unterstützung bekommt der Londoner dabei von R&B-Größe Frank Ocean und Bon Iver-Frontmann Justin Vernon („I Need A Forest Fire“). Dabei entsteht nicht weniger als die Vollendung der modernen Bassmusik. Elektronischer Emotionalismus at its best!

Anspieltipps: „Timeless“ & „Two Men Down“

Warpaint – Heads Up

Sie standen kurz vor der Auflösung – und doch meldet sich die stärkste weibliche Indie-Rock-Band der letzten Jahre mit ihrem dritten Album Heads Up zurück. Warpaint – das sind Emily Kokal, Theresa Wayman, Jenny Lee Lindberg und Stella Mozgawa. Vier Frauen aus Kalifornien, die vor allem auch live in der Lage sind, eine wirkungsvolle Einheit zu bilden. Vor allem aber trägt der teilweise mehrstimmige, fast schon chorale Gesang sein Übriges dazu bei. So auch auf Heads Up – es scheint als hätten Warpaint die Platte unter der Maxime „Got my girls, I’m not alone“, wie es in „By Your Side“ heißt, veröffentlicht. Die wohl zugänglichste Single „New Song“ lädt fast schon zum Tanzen ein und doch bleiben Warpaint mit dem Rest des Albums in ihren sicheren und so großartig atmosphärischen Gefilden. Außerdem wagen die vier den Schritt zum Psychedelischen und schwimmen sogar wunderbar intensiv bis zum Dreampop-Ufer. Dort in ihrer eigenen, manchmal sehr unheimlichen und dynamischen Welt sind sie genau richtig und man ist sofort bereit ihnen dorthin zu folgen.

Anspieltipps: „Heads Up“ & „Whiteout“

Drangsal – Harieschaim

So muffig die 80er-Mottenkiste auch sein mag, so faszinierend ist sie noch immer. Ein Jahrzehnt, in dem man noch nicht mal geboren war, wieder zu beleben, das schafft man nur mit ganz viel Scheißdrauf und Liebe. All das vereint Drangsals aka Max Albin Grubers Erstling Harieschaim absolut authentisch. Eingängige und düstere NDW-Klänge, gewaltverherrlichende und gleichzeitig amouröse Texte, Synthies, die nur so nach Duran Duran schreien, plus ein Frontmann mit einer Vorliebe für The Smiths und Falco, der auch optisch irgendwo im Manchester der 80er festsitzt – und das alles im Jahr 2016. „Unnötig provozierend“ und „doch nichts Neues“ könnte man jetzt titeln – und ja: auf Harieschaim wird nicht groß herumexperimentiert. Gruber und sein Produzent Markus Ganter (Sizarr, Get Well Soon, Casper) nehmen einfach den basslinienorientierten Sound und all das was schon da war und machen es genauso gut wie vor drei Jahrzehnten. Das ist nicht aus der Zeit gefallen, sondern genau richtig im Hier und Jetzt.

Anspieltipps: „Hinterkaifeck“ & „Will ich nur dich“


Anton Schroeder

Isolation Berlin – Und aus den Wolken tropft die Zeit

Isolation Berlin waren für mich in diesem Jahr definitiv die größte Neuentdeckung und Und aus den Wolken tropft die Zeit wahrscheinlich das Album, welches ich am öftesten gehört habe – und ich finde es immer noch unendlich schön.
Trotz vieler bereits zuvor existierender Songs wählten Isolation Berlin nicht wie zum Beispiel AnnenMayKantereit den Weg, das Debütalbum einfach mit Liedern der bisherigen Bandgeschichte zu füllen, sondern schrieben einfach mal eben zwölf neue – das alte Gut wurde als zweites Album zeitgleich veröffentlicht. Ein mutiger Schritt, der sich meiner Meinung nach jedoch ausgezahlt hat. Und aus den Wolken tropft die Zeit klingt sehr nuanciert, reicht von sehr leisen, fast schon geflüsterten Liedern wie „Ich wünschte, ich könnte“, bis zu dem in Chaos endendem „Wahn“ und ist dabei durchgehend interessant. Sowohl musikalisch als auch textlich – ein gute Laune-Album ist es wahrlich nicht. Die Texte sind größtenteils sehr dunkel, teilweise fast lebensverneinend. Manchmal würde man den Sänger gerne einmal drücken und ihm „Wird schon wieder, mein Freund“ ins Ohr flüstern. Dennoch klingt das Ganze nie nach Emo-Tagebuch und steckt immer voller Energie und Trotz – auch in den leisesten Tönen.

Anspieltipps: „Verschließe dein Herz“ & „Wahn“

Radiohead – A Moon Shaped Pool

Nun, Radiohead. Viel muss man zu denen wahrscheinlich nicht mehr sagen – die Band ist bekannt, dass sie ein bisschen was drauf hat wohl auch.
A Moon Shaped Pool ist bereits das neunte Album der Gruppe (hoffentlich nicht das letzte, auch wenn es stellenweise danach klingt) und ist, selbst für Radiohead-Verhältnisse, sehr traurig und ruhig. Die Instrumentals beinhalten viele Streicher-Passagen, immer aufregendes und überraschendes Gitarrenspiel von Lead-Gitarrist Jonny Greenwood, darauf legt sich der säuselnde und engelsgleiche Gesang von Thom Yorke.
Als mir dieses Jahr tatsächlich die Ehre zuteil wurde, Radiohead live zu sehen und mir da in der warmen Berliner Nacht die ersten Klänge von „Burn the Witch“ entgegenschallten, während Thom Yorkes Zopf (bitte sagt nie wieder Man-Bun!) so schön im Takt wippte, war ich mir sicher, noch nie so ein geiles Konzert gesehen zu haben und, dass Radiohead doch sowieso die beste Band des Planeten sei. Daran hat sich nun auch nach dem x-ten Anschauen des Konzertvideos und Erklingen des letzten Tons von A Moon Shaped Pool nicht viel geändert – für mich stimmt an diesem Album eigentlich alles.

Anspieltipps: „Identikit“ & „Present Tense”

Danny Brown – Atrocity Exhibition

So, von den zwei doch eher melancholischen Alben jetzt mal zu etwas anderem: Danny Brown.
Am besten stellt man den jungen Mann wahrscheinlich mit seinen eigenen Worten aus dem Song „Lost“ vor: “I’m like Spielberg/ With ill words and hoes on that curb/ Gotta screw loose/ I’m cuckoo/ Mentally disturbed.”Ja, das kann man eigentlich unkommentiert lassen.
Atrocity Exhibition ist das dritte Album des Detroiter Rappers Danny Brown und schlägt eine komplett andere Richtung ein als die vorherigen. Was mit Browns Labelwechsel zu Warp Records, die u.a. auch Bands wie Death Grips unter Vertrag haben, bereits erwartet werden konnte, hat sich bestätigt: das Album geht stark in die experimentelle Richtung, ist teilweise sehr verwirrend und gerade dadurch so gut. Die Beats auf dem Album sind unheimlich abwechslungsreich, Danny Brown stolpert mit seiner fast comic-artigen Stimme sehr eigen über den Takt und Gastauftritte von u.a. Earl Sweatshirt und (natürlich) Kendrick Lamar runden ein Projekt ab, welches sicherlich nicht jedem gefallen wird – ist aber ja auch meine Liste hier!

Anspieltipps: „When It Rain“ & „Lost“


Clara Wild

Fewjar – Until

Until ist das dritte Konzeptalbum der Wahl-Berliner, welches den Hörer wie seine Vorgänger auf eine traumhafte Reise durch Klang- und Geschichtenwelten innerhalb eines fiktiven Universums entführt. Die Suche des lyrischen Ichs; nach sich selbst, etwas oder jemanden -Unklarheiten bleiben- zieht sich als Storyline durch die Songs, wundervoll illustriert in einer erwähnenswert hochwertigen Albumcollage.
Polygenre nennen Felix Denzer und Jakob Joiko es, wenn sich wabernde Vokal Gesänge erheben, an- und abschwellen, sich mit orchestralen Instrumente verweben oder elektronisch zu Synthpop manipuliert werden. Unzählige Bestandteile sind zu entdecken, nichts ist zu opulent, alles in ständiger Bewegung: Von Grundbausteinen wie Bass, Drums und Keyboard über Streicher bis zu Geräusch-Samples. Aufwendig wird dieses Werk inszeniert und erzeugt, kurz vor der Reizüberflutung, tranceartige Zustände, während welcher es möglich erscheint, die intrikaten Texte doch verstehen oder zumindest nachvollziehen zu können.

Anspieltipps: „Indigo“ & „Lo“

Lewis del Mar – Lewis del Mar

Auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum Lewis Del Mar präsentieren uns Max Harwood und Danny Miller experimentellen Folk-Rock und eine tatsächlich ganz eigene, unfassbar gelungene Fusion zwischen Gitarre sowie teilweise aus anderen Musikstücken, teilweise der alltäglichen Geräuschkulisse New Yorks entnommenen Mixed Media Samples und Latein-Amerikanisch inspirierten Percussions. Auszeichnend ist der Kontrastreichtum: Synthetisierte Klänge treffen auf rohe Gesänge, verzerrter Bass fordert die akustische Gitarre, dynamische Drums finden atmosphärische Texte, resultierend in einer kribbeligen, parallel beinahe zeremionellen Stimmung.
Inspiration ist, neben ihren Vätern, der Entstehungsort, ein kleiner Bungalow am Rockaway Beach an der Südküste Long Islands, nahe NYC. Fließende, akustische Elemente symbolisieren die Ruhe des Atlantischen Ozeans, elektronische die industriellen Einflüsse der Metropole und so findet sich der Hörer wieder in einem Moment zwischen rastloser Getriebenheit und absoluter Ruhe.

Anspieltipps: „H.D.L.“ & „Loud(y)“

Catfish and the Bottlemen – The Ride

Mit ihrem Debüt The Balcony gelang der rasante Aufstieg von Pub-Gigs zu Welttourneen und einem Brit Award. Obwohl der Sound des zweiten Albums The Ride polierter ist, so bleiben Catfish and the Bottlemen konsequent dem puren und simplen Konzept – bestehend aus der rauen Stimme des Frontmanns Ryan Evan “Van” McCann, eingängigen, festivaltauglichen Texten und energetischen Gitarrensolos – treu. Britischer Indie-Rock at its best. Auch thematisch gehen die Songs nicht über gescheiterte Romanzen, Auftritte und Absturz hinaus. Eben dieser unprätentiöse Ansatz, präsentiert mit englischem Charme und frecher Arroganz, machen das Album aus. Es repräsentiert die Mehrheit der (nicht nur englischen) Jugend und den Wunsch nicht erwachsen zu werden, länger den Amüsements im Lebens nachzuhängen. Trotz aller Dynamik und scheinbar nichtiger Themen, ist die Platte bestimmt von einer agressiven Melancholie. Zerrende Instrumente und leidende Vocals erlauben es gleichzeitig jugendlichen Leichtsinn und imaginären Weltschmerz zu empfinden.

Anspieltipps: „Outside“ & „Twice“


Alexander Rumpf

Car Seat Headrest – Teens of Denial

Auf Teens of Denial verarbeitet Will Toledo von Car Seat Headrest tiefschürfend und gespickt mit kulturellen Verweisen den Übergang zwischen Adoleszenz und Erwachsenenalter. Zu rumpelndem Schlagzeug und gezielt platzierten Riffs beschreibt er die Schwierigkeiten des Aufwachsens, wobei Depressionen, unerträgliche Partys und gestammelte Liebesbekenntnisse ebenso Platz finden wie ein Drogenrausch, der statt in Transzendenz in einem Horrortrip inklusive Schulverweis endet. Auf „The Ballad of the Costa Concordia“, dem elfminütigen Höhepunkt des Albums, vergleicht Toledo sein Leben mit einem sinkenden Dampfer, sich selbst mit dem überforderten Kapitän und schafft es trotz allen Trübsinns den Song doch noch zu einem episch-versöhnlichen Ende zu bringen. Teens of Denial ist letztendlich wie eine Enzyklopädie jugendlicher Minderwertigkeitskomplexe, ein Schulterklopfen von jemandem, der wirklich weiß wie man sich fühlt, ein Rettungsring, an dem man sich festhalten kann, schlicht das beste Album des Jahres.

Anspieltipps: „The Ballad of the Costa Concordia“ & „Drunk Drivers/Killer Whales“

Basia Bulat – Good Advice

»Ich lüge und behaupte, dass ich kein Problem habe, bis ich kein Problem mehr habe, weil mir zu allem eine Lüge einfällt.« Diese Erkenntnis war wohl eine der Ursachen für die Folk-Sängerin Basia Bulat aus Toronto, ihre Heimat und ihre kaputte Beziehung hinter sich zu lassen und in Kentucky mit Jim James von My Morning Jacket ein Album aufzunehmen. Die zehn Tracks, die aus diesen Sessions hervorgegangen sind, erzählen die Geschichte einer Romanze, von der am Ende nur Automatismen und Scherben übrig sind. Und doch hat Bulat das Album kein sonderlich Trauriges werden lassen – es ist ihr bisher rhythmischstes und ein trotzig-optimistisches Werk, bei dem selbst der genervteste Unterton mancher Textstelle kurz später von einem klaren Orgelstakkato wieder weggewischt wird. Sich nicht vom Weg abbringen lassen und mit Enttäuschungen umgehen: Good Advice war in gewisser Weise ein Mantra für das in vielerlei Hinsicht deprimierende Jahr 2016 und ist dadurch nicht nur ein sehr gutes Pop-Album, sondern tatsächlich ein guter Ratschlag.

Anspieltipps: „La La Lie“ & „The Garden“

Xiu Xiu – Plays the Music of Twin Peaks

Pünktlich zum 25. Jubiläum der letzten Folge und zur langersehnten dritten Staffel der Kultserie haben Xiu Xiu, die Band um Jamie Stewart, im Rahmen einer David Lynch-Ausstellung den Soundtrack von „Twin Peaks“ neu interpretiert. Was erstmal nach einem seltsamen Konzept klingt, entfaltet aber schon ab dem ersten Song seine Magie: Während der Original-Soundtrack von Angelo Badalamenti eher leichtfüßig und zurückhaltend wirkt, feuern Xiu Xiu wuchtige Salven aus Geschrei, verzerrten Synthesizern und knallendem Schlagzeug auf ihre Hörer. Songs wie „Into the Night“ und „Blue Frank/Pink Room“ gewinnen dadurch spannungstechnisch ganz neue Qualitäten, ohne den geisterhaften Schauder zu verlieren, für den sie ursprünglich geschrieben wurden. Zu diesem Album kann man sich zwar ein Stück Kirschkuchen abschneiden und eine Tasse frischgebrühten Kaffee einschenken, aber die Gänsehaut geht bis zum letzten Akkord nicht weg. Wenigstens läuft die Gardinenschiene endlich geräuschlos.

Anspieltipps: „Into the Night“ & „Audrey’s Dance“


Lara Bühler

The Slow Show – Dream Darling

Auch mit ihrem zweiten Album Dream Darling knüpft die Band aus Manchester an die lieblichen Klänge des ersten, 2015 erschienen Albums an. Ebenso wie White Water schafft es auch der Zweitling der Band, dem Hörer Tränen in die Augen zu treiben und Gänsehaut über den Rücken laufen zu lassen. Das ist natürlich auch nicht zuletzt dem Bariton von Rob Godwin zu verdanken. Wenn man auf Dream Darling locker-flockige Melodien erwartet, ist man aber vollkommen an der falschen Adresse: Die großen Themen des Lebens, Tod, Liebe oder das Älterwerden stellen in Dream Darling die zentralen Motive dar. Jedoch ist das Album noch fokussierter, ausgeschmückter und präziser als sein Vorgänger. So bleibt durch feinere Gitarrenklänge im Hintergrund oder die Raffinesse einer Bergarbeiter-Blaskapelle auch im wahrsten Sinne des Wortes kein Auge trocken. Außerdem werden The Slow Show in „Brawling Tonight“ zum ersten Mal durch eine Frauenstimme verstärkt. Mit all dieser Raffinesse schaffen The Slow Show ein Meisterwerk der Melancholie.

Anspieltipps: „Ordinary Lives“ & „Strangers Now“

MONEY – Suicide Songs

Der Name ist Programm: MONEY inszinieren mit Suicide Songs eine Platte, die seelische Dunkelheit greifbar werden lässt. Die Band aus Manchester hinterfragt den Sinn des Lebens auf tragische Weise. Dies spiegelt sich selbstverständlich auch in den Melodien und der Instrumentalisierung wieder. Die stimmlichen Vibrationen und melancholischen Töne lassen den Weltschmerz, den die Band vertont, greifbar werden. In Songs wie „I’m Not Here“ schaffen es MONEY wie The Verve zu klingen und katapultieren den Hörer mit weitausholenden Kompositionsbögen damit außerdem noch in die neunziger Jahre. Der melodramatische Einsatz von Streichern in „Hopeless World“ lässt den Hörer die Hilflosigkeit und Traurigkeit, die Suicide Songs verkörpert, keinesfalls vergessen. Dennoch verlieren sich MONEY nicht in Tragik und Selbstmitleid: Die abwechslungsreiche Inszinierung ihrer Melancholie setzen sie mit Jazz-Untertönen genauso um, wie mit Bläsern oder E-Gitarren. Alles in allem ein bittersüßes Album.

Anspieltipps: „You Look Like A Sad Painting On Both Sides of the Sky“ & „I’m Not Here“

Isolation Berlin – Und aus den Wolken tropft die Zeit

Schon vor dem Release ihres Debüts wurden Isolation Berlin als einer der aufgehenden Sterne am deutschen Musikhimmel glorifiziert – und sie haben nicht enttäuscht. Mit Und aus den Wolken tropft die Zeit schaffen es die Berliner eine bunte und abwechslungsreiche Platte zu kreieren, auf der für jeden Geschmack etwas dabei ist. Die Melancholie und Verletzlichkeit, mit der Sänger Tobias Bamborschke in „Schlachtensee“ noch punktet, wandelt sich im Song „Produkt“ schon zu einer abgefuckten Attitüde, wie man sie auch bei Pete Doherty finden könnte und aus dem die Konsumkritik trieft. Leichte und fröhliche Songs wie „Aufstehn, Losfahrn“ oder „Verschließe dein Herz“ sorgen für eine wechselhafte Atmosphäre. Genauso abwechslungsreich ist auch die Geschichte, die hinter dem Album stecken: Die alte Liebe verlieren, eine neue Liebe finden und das alltägliche, teilweise auch exzessive Leben danach. Und aus den Wolken tropft die Zeit ist eine Platte, die einem in jeder Lebenslage das passende Lied zur Seite zu stellt – und damit eines der besten deutschsprachigen Alben 2016.

Anspieltipps: „Schlachtensee“ & „Fahr weg“


Yannic Köhler

Iggy Pop – Post Pop Depression

Mit Post Pop Depression bringt Iggy Pop bereits sein gefühlt fünfzigstes Studioalbum (okay, okay, es waren erst 17) heraus. Wie der Name schon erahnen lässt, hat das Ganze einen ähnlich düsteren Grundcharakter wie auch die letzten Werke seiner jüngst verstorbenen musikalischen Wegbegleiter David Bowie und Leonard Cohen. Der für sein Alter und den ihm nachgesagten Lebensstil noch erstaunlich agile „Godfather of Punk“ erfindet mit Post Pop Depression die Musikwelt zwar nicht neu, liefert aber ein wirklich sehr solides Rockalbum ab. Mit typisch abgefuckt, rotzigem Iggy Charme, bellt, gnarzt und knurrt sich der „Rock Iguana“ durch neun gut komponierte, durchdachte und instrumental ausbalancierte Songs. Dabei lässt er sein Musikerleben auch lyrisch Revue passieren (im Song „German Days“ bringt er gar das Wort „Schnellimbiss“ unter). Nicht zu überladen, nicht zu spärlich, eingängig aber nicht glatt, verspielt aber nicht zu abgehoben; ein wenig wilder hätte man es sich vielleicht wünschen können, aber insgesamt ist Post Pop Depression einfach eine runde Scheibe.

Anspieltipps: „Gardenia“ & „Sundays“

All diese Gewalt – Welt in Klammern

Um den deutschen Post-Punk ist es zurzeit so gut bestellt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Einen nicht geringen Anteil daran hat zweifelsohne Max Rieger, bekannt als Gitarrist und Sänger der Stuttgarter Punkhelden Die Nerven. Mit Welt in Klammern lieferte der charismatische Rieger bereits sein zweites Soloalbum. Er entwickelt dabei einen Sound, der zwar weniger aggressiv und brachial klingt als bei den Nerven, dafür aber mindestens genauso düster, kryptisch und getrieben ist. Statt auf krachende Gitarrenwände setzt Rieger hier auf dicht dahinwabernde Soundflächen, die durchbrochen und wieder aufgebaut werden; dunstige Klanggerüste, voller Rauschen und Dröhnen, Klirren und Wispern. Dazu die gewohnt nebulösen, unergründlichen Lyrics, die eigentlich nirgendwo bestimmtes hinwollen, aber trotzdem dort ankommen. Welt in Klammern erschafft eine sehr eigene, introvertierte und bildreiche Klangwelt, die schnell eine hypnotische Atmosphäre und fesselnde Sogwirkung entfaltet. Man kann nur gespannt sein, was für kreative Glanzstücke als Nächstes aus dem riegerschen Kopf wabern.

Anspieltipps: „Maria in blau“ & „Kuppel“

Kate Tempest – Let Them Eat Chaos

Let Them Eat Chaos ist sicherlich Kate Tempest bisher ambitioniertestes Werk und eines der eindringlichsten Alben des Jahres. Tempest verbindet hier sehr gekonnt Musik mit Literatur, Beats mit Poesie; und das alles ohne narzisstisches Blabla und gereimte Selbstbeweihräucherung, sondern mit kritischem Blick auf die Widersprüchlichkeiten unserer Zeit. Statt den Hörer direkt zu adressieren, geht Tempest einen literarischen Umweg und entwirft sieben fiktionale Figuren, die sie betrachtet und durch deren Perspektiven sie von den Hoffnungen, Zweifeln und Widrigkeiten des anonymen Großstadtlebens erzählt. Ein gefrorener Moment (4:18 Uhr in der Nacht exakt) im Leben sieben unterschiedlicher Charaktere; sich alle fremd untereinander, aber durch ihre Isolation und Ziellosigkeit miteinander verbunden.
Zugegeben, wenn Tempest über verlorene Menschen, Städte und Kontinente rappt, klingt das erstmal recht düster und pessimistisch. Aber am Ende des Albums steht eine Botschaft, ein energischer Appell, dass es nicht so sein muss. Kate Tempest hat etwas zu sagen und man sollte gut zuhören!

Anspieltipps: „Ketamine for Breakfast“ & „Europe Is Lost“


Peter Zeipert

Nicolas Jaar – Sirens

Cover und Lyrics von Sirens machen schnell klar, dass der Musik von Nicolas Jaar etwas Politisches eignet. Doch auch abseits des Offensichtlichen birgt Jaars ästhetischer Ansatz der Einigung von Dance-Sound und kritischer Reflexion dialektische Ambitionen, die Sirens so nachdrücklich wie nie einzulösen versucht. Geschichtliche Bewusstseinsschaffung trifft hier also auf Jaar-üblich kunstsinnige Elektronik, allerdings verdichteter und mit tendenziell erhöhter Konturenschärfe. Durch „Three Sides of Nazareth“ wuchtet sich so ein Bass in balzwütiger Wollust und „No“ flirtet mit balearischem Disco-Schwof. Doch schon der elfminütige Opener verdeutlicht in seiner Melange aus glöckchenbeläuteter Fragilität und dissonantem Grundrauschen, dass der heitere Tanzabend hier heut leider ausfallen muss, weil is nich. Auch „The Governor“ zerstäubt bald in ein kakophonisches Noisegewitter, aus dem sich ein fiebriges Saxophon aufrappelt, um die Reste zusammenzufegen. Das finale „History Lesson“ doo-wopt schließlich melancholisch in Lynch-mäßiger Semiironie und erweitert Jaars Klangkosmos unerwartet um die Facette der Songnähe.

Anspieltipps: „The Governor“ & „Three Sides of Nazareth“

Elysia Crampton – Elysia Crampton presents: Demon City

Demon City ist nicht von dieser Welt. Zum einen inspiriert es sich bei dystopischer Science-Fiction, zum anderen transzendiert es irdische Kategorien wie „Genre“ und entspinnt posthuman-android dröhnende Ambient-Collagen aus beständig im Hintergrund wuchernden, titelgetreu dämonischen Soundschleifen. Statt von Gesang wird diese gespenstische Klangwelt von amorphen Stimmen und pathologisch ein wenig bedenklichen Lachexzessen besiedelt, die klingen als würden die ikonischen aphex-twinschen Zerrgesichter in ihre auditiven Counterparts überführt. Gleichzeitig glimmt durch die bedrohliche Kulisse immer wieder eine eigenwillige Schönheit – ob als sich schüchtern durch die schummrige Atmosphäre tastende Klavierspur, süßlich grienender Synthie oder würdevolle Geigenouvertüre: Harmonie und eine tiefe Emotionalität bahnen sich fortwährend ihren Weg an die Oberfläche. Mit „Red Eyez“ klingt das Album dann fast versöhnlich aus: kristallklar jauchzende Synthies verheddern sich zu einer ätherischen und zerschossenen Tanznummer mit angeknackstem Hinkeknöchel, aber eingebauter Mitwippgarantie.

Anspieltipps: „After Woman (For Bartolina Sisa)“ & „Red Eyez“

Heimat – Heimat

“Sperrig, kaputt, mit zweifelhaften Zeichen übersät” heißt es über die deutsche Sprache – schon manch liebevoller, (Canna-)Gourmetzungen-in-Schnalzzustände-höheren-Grades-versetzender Rezepttipp lässt aufblitzen, dass Deutsch durch besagte Eigenheiten prima als ästhetisches Mittel taugt. Besonders aber im Kontext von Post-Punk findet diese Strategie bevorzugt Anwendung, um dessen kühle Distanz ins Phonetische zu übersetzen. Die psycho-poppenden Franzosen Heimat bringen die These formalen, funktionslosen Spracheinsatzes wattstark zum Leuchten, indem sie fröhlich vor sich hin kauderwelschen. Auch musikalisch werden abseitige Pfade betreten: „Wieder ja!“ beschwört einen mystisch-atavistischen Totentanz herauf, „Tot und Hoch“ wird in der Mitte von einem rückkoppelnden Synthie zersägt und zum autokannibalistischen Organismus, „Afrikistan“ schlingert durch verwitterte Kargheit und maschinell abgestumpftes Dröhnen, „Trocadéro“ verführt mittels geisterhaft entrückter Schwerelosigkeit und „Wek“ löst sich in entschleunigt-technoider Opazität auf. Ein unbedingter Geheimtipp aus 2016!

Anspieltipps: „Dein Architekt“ & „Trocadéro“


Eric Gäbler

TOY – Clear Shot

Alles irgendwie anders anzugehen und mit unbedingtem Willen das zu erreichen, was einem bisher verwehrt blieb, scheint den drei aus Brighton stammenden Toyboys Tom Dougall, Maxim Barron und Dominic O’Dair im Blut zu stecken. Nicht nur, dass 2010 aus so einem Versuch TOY selbst aus der Band Joe Lean entstanden ist; man kann auch stark annehmen, dass zur Entstehung ihres dritten Albums ähnliche Faktoren zu Grunde lagen. Nachdem ihr letzteres Projekt Sexwitch, welches die Band zusammen mit Natasha Khan von Bat for Lashes und Produzent Dan Carey 2015 auf die Beine stellte, eher mittelmäßige Erfolge feierte, verließ die Keyboarderin Alejandra Diez die Band und musste durch Max Oscarnold ersetzt werden. So kam es, dass sich die Band – mit frischem Blut und der neu entdeckten Vorliebe für Soundtracks von Bernard Herrman, John Barry und Ennio Morricone – Anfang des Jahres ins Studio begab. Herausgekommen ist ein Album voller Songs, denen zwar wie gewohnt ein motorisch angetriebener, mit Shoegaze gepaarter, psychedelischer Krautrock innewohnt, die jedoch – und hier liegt die Besonderheit – dieses Mal ihren Sound kanalisieren und dadurch ausgelebte Klangräume schaffen, bei denen sich jeder Science-Fiction-Soundtrack eine Scheibe abschneiden kann.

Anspieltipps: „Clear Shot“ & „Fast Silver“

die Heiterkeit – Pop & Tod I+II

Wenn es eine Band gibt, die ich wirklich mag, dann ist es Tocotronic. Daher habe ich mich dieses Jahr besonders gefreut, als ich die Heiterkeit für mich entdeckt habe. Nicht nur dass die Band sich seit ihrem Debütalbum Herz aus Gold im stetigen Besetzungswechsel befindet und Stella Sommer die einzige Konstante dieser Band zu sein scheint; nein, auch haben sie/ hat sie es geschafft, ihren ursprünglichen Sound freizulegen und ihre Lustlosigkeit zur Kunstform zu erheben, wodurch es die Heiterkeit gelungen ist, schon nach vier Jahren, mit ihrer dritten Platte, ihr eigenes Weißes Album zu schaffen, was nicht zuletzt auch daran lag, dass sie hervorragende Unterstützung genießen konnten. Produziert wurde Pop & Tod I+II von niemand Geringem als Moses Schneider und am Schlagzeug ist Philipp Wulff von Messer zu finden. In den Männerchören sind zwischen Kristof Schreuf und Maurice Summen (Die Türen) auch Max Gruber (Drangsal) und Nagel auf Songs wie “Haben die Kids” zu hören. Das Album ist randvoll gepackt mit Antihymnen und bewegt sich immer im Zwiespalt zwischen Kälte und Wärme, Schwere und Leichtigkeit, Verständnis und Gleichgültigkeit, Frustration und Kapitulation; oder wie sie ihren Ansatz beschreiben: „Distanz als Form von Nähe“.

Anspieltipps: „Pop & Tod“ & „Im Zwiespalt“

Merchandise – A Corpse Wired For Sound

Dass die Band Merchandise einige Dinge im Showbusiness nicht allzu ernst nimmt, beweist nicht nur ihr Name, durch den sie sich deutlich von eher kommerziell gerichteten Erfolgsbands absetzen wollen, sondern auch ihre Bandbiographie, aus der sie eher ein Mysterium machen: dass sie sich einmal als Duo mit unterstützenden Mitgliedern und ein anderes Mal als Trio mit Liveschlagzeuger präsentieren, spiegelt dies wunderbar wieder. Dass Sänger Carson Cox, Gitarrist David Vassalotti und Bassist Patrick Brady wiederum einige Dinge ziemlich genau nehmen, beweist ihr Sound, den sie selbst als Konglomerat aus Punk-Misanthropie, Mad-Science, schlechtem Humor sowie Popgenialität beschreiben – wobei es letzteres wohl am besten beschreibt. Nach dem ernüchternden zweiten Album After The End ist es Ihnen mit A Corpse Wired For Sound wieder geglückt, eine gekonnte Mischung aus Post-Punk und Wave-Pop zu entwickeln. Dabei sind Songs wie “Flower of Sex” der an die Noisyness von Joy Division erinnert oder “Right Back to the Start”, welcher genauso bewegend wie umreißend ist und durch gefühlvoll-gesangliche Tiefe den Charm von The-Smiths-Songs versprüht, ohne diese jedoch zu kopieren.

Anspieltipps: „Lonesome Sound“ & „Flower of Sex“


Phillip Müller

Dead Pirates – Highmare

„Dark tunes with high notes.“ – eine treffende Selbsteinschätzung des Debütalbums der Dead Pirates. Auf Highmare brauen die fünf Londoner um Illustrator und Mastermind mcbess eine düstere und berauschende Mischung aus Stoner, Punk, Garage und klassischem Rock ‘n’ Roll und basteln sich mit Artwork und Videoproduktionen ihren eigenen visuellen Kosmos zum Soundtrack. Der Hörer wird hierbei in eine abstrahierte und oft selbstironische Comicwelt voller Nihilismus und Fuck-It-Attitüde katapultiert. Mal langsam und groovig den Reverb angeschmissen, dann wieder explosiv das Fuzzpedal misshandelt und die Verstärker auf 11 geprügelt. Langweilig wird es dabei garantiert nicht. Die Riffs sind eingängig, die Klangexperimente mit Theremin und Sythesizern schlüssig platziert und dynamisch ausgearbeitet. Ein gelungenes Debüt voller schaurig-morbider Melodien, garniert mit einer Prise Horror und zum Zunge schnalzen für Rockfans aller Spielarten.

Anspieltipps: „Ugo“ & „Clement“

Mammal Hands – Floa

Nachdem Mammal Hands auf ihrer ersten LP bereits angedeutet hatten, was für eine faszinierende Verbindung die drei Musiker aus Norwich in ihren Kompositionen erreichen, erschien mit Floa nun ein Werk, so wunderbar geschlossen und natürlich wie ein Bach in einem Gletschertal. Und genauso mitreißend! Wer Jazz bisher als zu sperrig und langatmig empfand, dem sei Mammal Hands wärmstens ans Herz gelegt. Oder unter den Weihnachtsbaum. Das Trio aus Piano, Saxophon und Drums (wow, no bass!) schafft erfrischend schlanke und eingängige Klangstrukturen und regt zu verträumten Reisen in die Gedankenwelt ein. Die Instrumente umschmeicheln einander und funktionieren wunderbar dynamisch im Kollektiv und ohne ausufernde Egotrips. Es entfaltet sich eine kunstvoll gewobene Mischung aus New Jazz, Electronica, World Music und moderner Klassik, gepaart mit rhythmischen Strukturen aus indischer und afrikanischer Musik. Mal zart und subtil, wehmütig melancholisch, dann zügellos und spontan, fast schon hektisch. Ein außergewöhnliches Erlebnis, nicht nur für Romantiker.

Anspieltipps: „Quiet Fire“ & „The Eyes That Saw The Mountain“

La Femme – Mystère

Mysteriös, verführerisch, unnahbar. Die Franzosen spielen mit den gängigen Clichés der femme fatale und wissen genau, wie sie mit ihrer verlockend-erotisierenden Art dem Spießbürgertum den Spiegel vorhalten. Indem sie nämlich gängige Rollenklischees übertrieben karikieren und damit weit verbreitete Bigotterien entlarven. Allein dafür muss man sie einfach lieben. Fünf Dandys und das Alphatier: La Femme. Sängerin Clémence Quélennec hat ihre Jungs im Griff. Die Philister sagen Schund, ich sage Kunst! Die Entmystifizierung der Sünde gelingt den „Parisiennes“ auf Mystère so wundervoll kokett und provokant, dass man applaudieren möchte. Nicht francophone Hörer sollten sich aber nicht abschrecken lassen. Die Songs entfalten auch ohne Kenntnis der Sprache durch ihren lässigen Sound zwischen Surf, Wave und Elektropop einen magischen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Tanzbare Melodien mit hypnotischen Synths lösen beim Hörer einen tranceartigen, schwebenden Zustand aus. Ist das der Aufbruch der französischen Elektronik? Ich sage: Unbedingt!

Anspieltipps: „Où va le monde“ & „Mycose“


Lena-Sophie Raspe

Denzel Curry – Imperial

Zugegeben: Die Trap & Cloudrap-Welle hat mittlerweile auch Deutschland erreicht und ist nicht jedermanns Geschmack. Sollte man doch neugierig auf eine Mischung deeper und düsterer Synthies gepaart mit einem Hauch 90er Jahre Eastcoast-Rap sein, empfiehlt sich Denzel Currys Album Imperial, das meiner Meinung nach eines der gelungensten HipHop-Platten des Jahres darstellt.
Das mittlerweile zweite Album des 21-jährigen knüpft raptechnisch an sein Debüt Nostalgic 64 an; Curry zeigt sich im ersten Part gewohnt aggressiv und wütend („ULT“ & „Gook“), jedoch ist auf Imperial dunklere und ungeschliffenere Atmosphäre zu verspüren. Neuer sind seine Experimente, die Lieder gesanglich mit eingänglichen Hooks zu untermauern („Knotty Head“ oder „Me now“) und die Variation an verschiedenen Musikstilen, die er besonders im letzten Part des Albums zeigt. So wird zum Beispiel in „If tommorrow’s not here“ von Elementen des 60’s Psychedelic-Rock Gebrauch gemacht. Auch textlich gibt sich Denzel Curry auf Imperial ernsthafter und nachdenklicher als auf seinem Vorgänger: Handelten viele seiner früheren Texte über die „typischen“ (T)rap-Themen, hört man auf Imperial das eine oder andere kritische Wort. Auf jeden Fall kann man erkennen, dass Denzel Curry sich persönlich und musikalisch weiterentwickelt hat, was auf diesem Album optimal ersichtlich wird.

Anspieltipps: „Gook“ & „If Tomorrow’s Not Here“

Lemur – Provisorium

Treffen sich zwei alteingesessene Sprechgesangskünstler mit dem Hang zur Misanthropie, beschließen sich gemeinsam musikalisch auszutoben und was herauskommt nennen sie mit voller Überzeugung Provisorium. Dass die erste EP von Marten McFly & Lemur alles andere als das ist, beweisen die beiden auf sechs Songs, die mit düsteren, aber kraftvollen Beats und textlicher Versiertheit punkten können. Die beiden mimen die gesellschaftskritischen Antihelden („Lächeln“ & „Provisorium“), setzen sich aber auch mit sich selbst und ihrem Schaffen auseinander: Das Lied „Meine Musik“ steht im Kontrast zu den restlichen Liedern auf der EP. Hier stellen sie klar, welche Intentionen sie mit ihren musikalischen Ergüssen verfolgen und untermauern dies mit einem scheppernden Beat und einem eingängigen Refrain. Kurz gesagt: Die EP ist nicht langweilig, einfallsreich, intelligent, lädt zum Nachdenken ein und legt den perfekten Grundstein für noch (hoffentlich) viele weitere Kollaborationen zwischen Lemur und Marten McFly.

Anspieltipps: „Provisorium“ & „Meine Musik“

Nick Cave & the Bad Seeds – Skeleton Tree

Viele Menschen würden Skeleton Tree von Nick Cave and the Bad Seeds als ein Album betrachten, welches sich in seinen Charakteristika nicht sonderlich von den alten Werken der Band unterscheidet: Es beinhaltet eine trostlose und mystische Grundatmosphäre, gepaart mit teils antimelodischen Liedern, die auch lyrisch zur Melancholie anstiften. Betrachtet man aber Skeleton Tree mit dem Hintergrundwissen, dass Nick Caves’ Sohn Arthur letztes Jahr auf tragische Weise ums Leben kam, so eröffnet sich dem Hörer ein komplett neues Bild des Albums: Der Zynismus und Sarkasmus der Vorgängeralben sind nur noch rudimentär vorhanden, was bleibt ist der Blick auf Nick Cave als einen Künstler, der zerbrechlich wirkt. Zum ersten Mal lässt er seine Musik nicht für sich alleine sprechen, auch wenn er sein persönliches Schicksal nicht direkt anspricht. Man erkennt es an seiner Stimme, die teils gebrochen, teils verzweifelt klingt. Auch wenn auf Skeleton Tree auf „große Hymnen“ verzichtet wird, handelt es sich bei dem Album um ein untypisch typisches Nick Cave and the Bad Seeds-Album, welches nicht distanziert wirkt und in seiner Intensität seinen Vorgängern in nichts nachsteht.

Anspieltipps: „I Need You“ & „Girl in Amber“


Stephan Thiel

Datach’i – System

no computers or external hardware were used in this performance“. Es lässt einen als außenstehenden etwas stutzen, wie Musik nur durch ein Wirrwarr aus Kabeln und Widerständen entstehen kann. Blinkende Lichter und eine Unzahl an Reglern und Knöpfen kommen zusammen – eine Maschine, die dazu gebaut ist, einen einzelnen Track zu spielen. Es ist ein System, das von seinem Erschaffer Joseph Fraioli alias Datach’i zusammengesteckt wurde. Scheinbar autark wandelt es Strom in Musik um. Doch wie? Einzelne Effektgeräte werden mit analogen Timern, Drum-Maschinen, Oszillatoren und Filtern über Kabel zusammengesteckt. Der Großteil der Module ist miteinander vernetzt und beeinflusst sich gegenseitig, sodass mit jedem neuen Gerät, das in das System eingespeist wird, nahezu unendliche Möglichkeiten eröffnet werden, Töne zu modellieren und diese aneinander zu ketten. Es liegt nun am Künstler das Potenzial dieses Systems zu erforschen. Joseph Fraioli ist nach nun 10 Jahren Pause wieder in diese analoge Welt eingetaucht und hat auf System die Möglichkeiten seines Gerätekonglomerats vollends ausgeschöpft.

Anspieltipps: „Monarchs“ & „Grabbed with Claws“

Kaitlyn Aurelia Smith & Suzanne Ciani – Sunergy

Das Album Sunergy ist eine Liebeserklärung an ein Stück Hardware und die Idee – fast schon Ideologie – dahinter. Es ist eine Liebeserklärung an Buchla. Die beiden Frauen, welche zwar Generationen trennen, doch die Liebe zu analogen modularen Synthesizern eint, haben auf Sunergy eine leichtere, freiere Welt erschaffen. Geprägt durch die grenzenlose Weite und die unerschöpfliche Kombinatorik der Natur, entfesselt das Duo die ebenfalls fast grenzenlosen Möglichkeiten des Buchla und schafft drei fesselnde Ambient-Stücke. Diese entwickeln sich über eine Laufzeit von insgesamt 40 Minuten und nehmen einen auf eine fantastische Reise mit. Langsam, aber zielstrebig etablieren die beiden eine Klangwelt. Sie ist minimalistisch, dennoch kann sie einen vollends einnehmen. Freischwebend bewegt einen das Album durch Räume, Szenen, Welten. Weißes Rauschen gleicht den Wellen des Meeres, die einen sanft dahintreiben lassen. Gehaltene modellierte Sinuswellen vibrieren durch den gesamten Körper und verschmelzen Hören und Fühlen miteinander. Ein Album das Mediation gleicht und einem die Möglichkeit gibt, sich in der unendlichen Weite des Seins zu verlieren.

Anspieltipps: „A New Day“ & „Closed Circuit“

Soft Hair – Soft Hair

Ob man dieses Album nun gut findet, darüber lässt es sich ebenso gut streiten wie über die Stimme und Musik von Connan Mockasin. Diese befindet sich irgendwo zwischen Delirium, Traum und Schlafzimmermusik. Mit LA Priest scheint er jedoch jemanden gefunden zu haben, der Mockasin in die Realität zurückholen kann – zumindest zeitweise. Ein solch klarer Moment ist auch Soft Hair´s Soft Hair. Das Album öffnet mit “Relaxed Lizard” einem der vielen Tracks, der den Körper dazu verleitet, sich zu bewegen oder anderweitig mit anderen Körpern zu beschäftigen. Zwischen Mockasin und LA Priest liegt Liebe in der Luft und diese ist eindeutig zu spüren. Beide schaffen es, miteinander zu harmonieren, ohne ihren ganz eigenen Charme zu verlieren. Die verspielten und doch beat-igen Synthpassagen von LA Priest passen wie Schlüssel in Schloss zu Mockasins psychedelischen und minimal disharmonischen Riffs. Dazu mischen die beiden noch eine ordentliche Portion allgemeine Merkwürdigkeit unter, die jedoch nicht zu ernst genommen werden sollte.

Anspieltipps: „Relaxed Lizard“ & „l.i.v.“


Maria Posselt

Motorama – Dialogues

Eine kalte Klanglandschaft, die für die 80s typischen Synthesizer, schnelle Gitarrenriffs und ein Dunst aus Gefühlen. Dialogues hat wohl alles, was eine gute Motorama-Platte braucht. Doch sorgt das Altbekannte keinesfalls für Langeweile. Der aus Russland stammenden Band gelingt es nun bereits zum vierten Mal in Folge, aus dem alten musikalischen Repertoire etwas Neues zu kreieren. Während die letzte Platte Poverty eher düster wirkte, verzichtet Dialogues auf die Überdosis Melancholie und stimmt hier und da wieder eine zurückhaltende Freundlichkeit an. Neu auf Dialogues ist der Hang zum Pop, der sich auf den Ersatz der Dreampop-Gitarren des letzten Albums durch einfache Akustikgitarren zurückführen lässt. Der Achtziger-Pop-Appeal steht den vier Russen aus Rostov am Don bestens, sei es in seiner düsteren Form wie in „Sign“ oder als treibende Kraft in der Wave-Hymne „Tell Me“. Wer könnte es der Band da schon verübeln, wenn sie im kommenden Jahr noch eine Fortsetzung alter Manier veröffentlichen?

Anspieltipps: „By Your Side“ & „Tell Me“

Vita Bergen – Disconnection

Das schwedische Debüt Disconnection ist eine Achterbahnfahrt der Instrumentalisierung, ein Auf und Ab der Gefühle. Von wilden Synthesizern und zarten Pianoklängen bis hin zu treibenden Gitarrenriffs hat die Platte alles zu bieten. Gerade wenn man glaubt ein Konzept erahnen zu können, wirft die Platte einen zurück, legt eine abrupte Kehrtwende ein oder zeigt neue Horizonte auf. Die zahlreichen kompositorischen Ideen und Überraschungen würden sicher auch für mehr als die dreißig Minuten des Debüts ausreichen – Langeweile ausgeschlossen.
Neben der Hymne „Curtains“, die teils an die kanadischen Vetter von Arcade Fire erinnert, stecken in dem Album noch weitere Schmuckstücke. Während in Songs wie „Replace“ und „Closer Away“ das Album immer wieder Fahrt aufnimmt und der Rhythmus von Synthesizern und lauten Gitarren vorangetrieben wird, drücken die schweren Klänge von „Bookstore“ uns in den Sessel und lassen uns, begleitet von Streichern, an einer Tasse Tee nippen. Mit Disconnection hat die Band ein kleines Meisterwerk geschaffen, das all unseren Stimmungslagen ein warmes Zuhause bietet.

Anspieltipps: „Curtains“ & „Alexia“

Isolation Berlin – Und aus den Wolken tropft die Zeit

Beim Hören von Und aus den Wolken tropft die Zeit möchte man die vier Jungs von Isolation Berlin in den Arm nehmen und ihnen auf die Schulter klopfen. In zwölf Songs hat die Band ein Album für traurige Großstadtmenschen geschrieben, dass irgendwo zwischen Rock, Punk, Chanson und Funk hin und her tingelt – und mit großer Sicherheit heißer Anwärter für das beste deutschsprachige Album des Jahres ist. Dabei thematisieren Isolation Berlin die Einsamkeit und den Trennungsschmerz nach einer Beziehung auf eine ganz eigene und erstaunlich facettenreiche Art und Weise. Denn Tobias Bamborschke, der Sänger des Berliner Vierergespanns, verkörpert keineswegs das Klischee eines typischen Herzschmerzsängers. Zwar schmerzerfüllt, doch mitunter rotzfrech und trotzig besingt er den hin und wieder bitteren Beigeschmack des Lebens. Und während wir ihm dabei lauschen und fröhlich den Fuß wippen, versinken wir mit ihm voll und ganz in der „Isolation Berlin“.

Anspieltipps: „Aufstehn, Losfahrn“ & „Schlachtensee“


Johannes Giebfried

Parquet Courts – Human Performance

Nachdem sich Parquet Courts mit fünf starken Platten in vier kurzen Jahren in den hart eingesessenen Indie-Kreisen einen kleinen, aber sehr hoffnungsvollen Ruf erarbeitet hatten, rissen sie 2015 mit der katastrophalen Monastic Living EP sämtliche Erwartungen der Fans ein.
Umso atemberaubender schlug ihr neues Album Human Performance ein halbes Jahr später in der Musikwelt ein, als es aus den Ruinen ihrer Diskografie aufstieg. Der Lärm, die Soundcollagen und das dissonante Gitarrengeklimper der vorherigen Veröffentlichung, weichen auf dieser Platte den Qualitäten, für die man die Band kennen und lieben gelernt hat: eingängige Riffs (s. “Berlin Got Blurry”), treibende Punk-Hymnen (s. “Two Dead Cops”) und ruhigere Melodien, die klingen, als hätten die Jungs im Studio alte Notizzettel mit Songs von Lou Reed & Co. entdeckt, die es nicht auf Velvet Underground & Nico geschafft haben (s. “Steady On My Mind”; “One Man, No City”). Die Brooklyn-Boys haben rechtzeitig den sinkenden Kahn verlassen und wirken mit diesen Album nicht so, als suchten sie nur einen ruhigen Hafen um zu überleben.

Anspieltipps: „Berlin Got Blurry” & „Human Performance“

Kevin Morby – Singing Saw

Während ich im Frühjahr auf Youtube die Kommentare zu einem irrelevanten Lied einer nebensächlichen Band durchlas, stach mir ein Thumbnail an der Seite ins Auge. Ein etwas verschroben-cooler Typ mit Gitarre war mir den Klick wert und so betrat ich die magische Welt des Kevin Morby. „Dorothy“ hieß das Lied, das ich zu hören bekam, das sich über den Großteil von fünf Minuten mit nur zwei Akkorden begnügt. Im Refrain wirft der Texaner kurz einen Dritten hinzu und fertig ist der Ohrwurm, was bezeichnend für das gesamte Album ist. Alle Lieder sind schlicht aufgebaut, minimalistisch produziert und werden von einer Stimme begleitet, die nicht sehr bemerkenswert ist. Was dem Album seinen Zauber verleiht, sind Morby’s Feingefühl für Melodien und sein Bewusstsein für die durchschnittliche Stimme, die er im Rahmen seiner Möglichkeiten überzeugend zum Einsatz bringt. Diese Kombination beförderte Kevin Morby dieses Jahr zurecht in die Höhen des Musikolymp und in die Top-3 meiner Jahrescharts.

Anspieltipps: „Dorothy“ & „Black Flowers“

Shacke One – Stecks, Schmiers & Suffs

Ein gewisser MC Shacke aka. Shacke One tauchte seit 2014 immer wieder auf der P.Berg Battletape-Reihe von MC Bomber mit Feature-Parts auf, wo er sich zunächst in der Berliner Hip Hop-Szene einen kleinen, aber nicht zu unterschätzenden Namen machte. Im August diesen Jahres erschien dann ziemlich still und heimlich sein erstes Soloalbum, das von der Musikpresse nicht wirklich wahrgenommen wurde. Doch die Fans, die sich durch seine früheren MC Bomber-Features von einem Albumkauf überzeugen ließen, wurden für ihre Treue mehr als belohnt. Thematisch bewegen sich die Songs in klassischer Battlerapmanier um Drogen, Sex und darum, die dickste Hose im Kiez zu tragen. Wodurch sich Shacke One von seinen Rapkollegen abhebt, ist der unmenschliche Flow, mit dem er von Anfang bis Ende durch das Album gleitet, als hätte er endlose Lungenressourcen und der scharfsinnige Wortwitz, den man auf diesem Niveau im Hip-Hop-Deutschland vergeblich suchen kann. „Tatort: Nordberlin, Nettelbeckplatz. Shacke ist gebor’n und zerstört Rap mit jedem Satz.“ – in diesem Sinne.

Anspieltipps: „Nettelbeckplatz“ & „Stecks, Schmiers & Suffs“


Gregor Hens

Danny Brown – Atrocity Exhibition

Danny Brown ist wieder da. Für eine erste Einschätzung reicht ein Blick aufs Cover: Willkommen in der verstörenden Welt des vielleicht besten Ami-Rappers, den du nicht kennst (außer du bist Anton (Schroeder, Anmerkung der Red.)). Während man von Danny’s Gebiss durchaus sagen kann, es sähe besser aus als zu Zeiten seines zweiten Albums OLD, kann man das von seinem Innenleben nicht gerade behaupten. Die Achterbahnfahrt zwischen Drogenekstase und Suizidgedanken ist kein neues Thema für den MC aus Detroit, aber diese LP kommt um einiges eigenwilliger und experimenteller daher als die vorherigen Alben, auch wenn Mr Brown bereits vorher schon für alles andere als easylistening stand. Hat man sich erstmal an Dannys unterschiedliche Stimmlagen und Flows gewöhnt, kann man sich auf eine faszinierende Reise durch die Abgründe der menschlichen Psyche freuen. Danny Brown macht genau das Album was ich mir erhofft hatte, den dunklen Zwilling von Madlibs The Unseen.

Anspieltipps: „Tell Me What I Don’t Know“ & „Really Doe“

LGoony – Intergalactica

“Musst du das Album nochmal durchhören?” – “Es ist noch nicht rausgekommen.” – “Und wie machst du das jetzt?” – “Eigentlich geht’s nicht.”. Als ich das hier schreibe, ist erst 1 Track des neuen Tapes von Fly Boy LGoony draußen, nämlich das Musikvideo von “Heilig”, das allein ist aber schon nextlevelshit genug um es in die Jahrescharts zu setzen (imo). Zitat: “Wir haben noch nie etwas schlechtes gemacht, ich glaub wir sind heilig.” Und da ich unprofessionell genug bin, genau das zu glauben, werde ich mit purer Absicht naturalistisch fehlschließen und sagen: Da bisher jedes Release vom wohl talentiertesten GUDG-Member absolut fire war, wird es dieses auch. LGoony aka Luis Lone hat schon oft genug bewiesen einer der kreativsten und produktivsten (und besten) Rapper in Deutschland zu sein und sein drittes Tape in diesem Jahr nach den Kollaboalben “Aurora” und dem Horrorcore Ausflug mit dem Uzi Mob wird beide nochmal toppen. Verlasst euch drauf!

Anspieltipps: „Heilig“ & „Utopia“

Trophy Eyes – Chemical Miracle

Eigentlich weiß ich gar nicht viel über die Band Trophy Eyes, außer dass sie aus Australien kommen und dieses Jahr ein wunderschönes Emo-Skate-Melodic-Hardcore-Pop-Punk Album released haben, das eine sehr runde Sache ist (haha ein rundes Album) und sich mehr oder weniger (eher weniger) fröhlich aus diversen (oben genannten) Musikstilen die im Geiste verbunden sind, bedient. Trophy Eyes schreiben einfach gute Songs, bei denen alles ineinandergreift, mit viel Liebe zum Detail und mit viel Liebe generell. Dabei gehen sie einen nicht ganz ungefährlichen Mittelweg zwischen Härte und Melodie, der schon vielen Bands das Genick gebrochen hat, der hier aber mit Bravour gemeistert wird. Highlights der ganzen Sache sind die Vocals, die genau an den richtigen Stellen kratzen oder schmusen und die Gitarre, die aus irgendwelchen Gründen meistens genau das Richtige macht.

Anspieltipps: „Chlorine“ & „Nose Bleed“


Miriam Fuß

Wildernessking – Mystical Future

Das Album dieser jungen Crossover-Black Metal-Band aus Kapstadt ist nicht nur für eingefleischte Metalheads höhrenswert. Die Bezeichnung „Black Metal“ trifft bei Wildernessking nur auf die Grundsteine des Sounds zu: treibende Drums, Doublebass, harte Gitarrenriffs und die starken gutteralen Vokals, also Screaming und Growling des begnadeten Sängers Keenan Nathan Oakes. Seit dem vergleichsweise hartem Debüt The Writing of Gods in the Sand (2012) sind auf den Veröffentlichungen der Band immer mehr Einflüsse aus Ambient, und Post-Rock zu hören. Mystical Future ist das bisher entspannteste, aber auch ein sehr abwechslungsreiches Album. Aggressiv und gleichzeitig zum dahinschweben schön, eine atmosphärische Reise der Sinne. Die Tracks sind sehr lang und wechseln zwischen aggressive Riffs und zarten leisen Parts, Spannungsaufbau und Stimmungswechsel sind durch die etwas ruhigeren Grundatmosphäre des Albums noch intensiver. Die Lyrics sind zwar düster, aber in der Thematik vielfältig, unterscheiden sich also von dem klassischen Bild der satanistischen Black Metal-Bands der ersten Welle. In metaphorischer und gefühlsbetonter Sprache werden neben geisterhaften und transzendenten Erscheinungen auch menschliche Gefühle besungen. Ganz alltägliche Themen wie Schmerz, Verlust und Einsamkeit sind in den Lyrics von Mystical Future verpackt, emotional aber keinesfalls kitschig.

Anspieltipps: „White Horses“ & „If You Leave“

Retrogott & Hulk Hodn – Sezession

Das beste Deutschrap-Album des Jahres kommt von DJ Hulk Hodn und dem MC Retrogott auch bekannt als Kurt Hustle. Schon der Albumtitel weist darauf hin, dass Retrogott & Hulk Hodn sich vom kommerziellen Hip Hop abgrenzen, und nicht mit ihrer wacken Konkurrenz in Verbindung gebracht werden wollen. Spätestens nach der neuesten Platte, die es übrigens nur auf Tour zu kaufen gab, sollte also jedem klar sein, dass der geschmacksverirrte Mainstream den beiden Kölnern gehörig am Arsch vorbei geht. Die funkigen Samplebeats von Hulk Hodn sind cool, Retrogott flowt auch ganz anständig, aber den Platz auf dem Hip Hop-Thron verdankt dieses Album eindeutig seinem Inhalt. Wer sein Hirn nicht anstrengt wird die Tracks nach einmaligem Hören mit dem Fazit „lose aneinander gereihte Wortspiele“ abstempeln, sich zur anspruchslosen Masse gesellen und aus dem breiten Angebot von leichter Rapkost irgendetwas belangloses auswählen. Wer sich Mühe gibt, wird zwischen den Zeilen harte Kritik finden: Religion und Ethnien, Kapital und Materialismus, Elite und Unterdrückte sind nur die Überschriften einer gesellschaftlichen Abrechnung. Die modernen Zeiten sind schwer zu durchdringen, genauso wie die Texte auf Sezession. In Retrogottes Worten heißt das: „Der Zahnarzt der Zeit, sucht die Wahrheit im Zahnbelag der Mundtoten, und behandelt die Wurzeln nur in Fußnoten“.

Anspieltipps: „DerkampfmitderAngst“ & „Geldsucht“

Soft Hair – Soft Hair

Soft Hair ist ein Nebenprojekt von Connan Mockasin und Late of the Pier-Frontman Sam Eastgate alias Samuel Dust alias LA Priest, dass 5 Jahre gereift und 2016 endlich erschienen ist. Das Resultat ist ebenso verstörend wie grandios. Die Kombination aus Mockasins hoher Fistelstimme und Eastgates tieferen klaren Vokals funktioniert sehr gut, besonders in den zweistimmigen Passagen. Zu den verzerrten Gitarrenriffs, die einen wunderbaren Hauch daneben klingen, gesellt sich meistens ein Synthie, der die Harmonien noch weiter ins Merkwürdige verschiebt. Das Haarthema, das Namen, Albumtitel und Cover einfärbt, lässt sich auch beim Sound fortführen. Die Platte klingt tatsächlich ein bisschen nach Weichspüler, da das Album trotz seiner Abgefahrenheit Attribute einer Pop- Platte erfüllt: zwischen der rauen Weirdness schwingen weiche bekannte Melodien und der Beat ist absolut tanzbar. Aber wer zur Musik des Duos die Gliedmaßen schwingt sei gewarnt, wahrscheinlich wird er den verstrahlten Sound mit noch viel komischeren Dancemoves komplettieren. Inspiration für expressive Zuckungen gibt’s in den nicht weniger verstrahlten Musikvideos von Soft Hair.

Anspieltipps: „Jealous Lies“ & „A Goood Sign“


Antal Schooltink

K. Ronaldo – I wanted to kill myself but today is my mothers birthday

Böse Zungen behaupten, dass es sich bei Kristallo oder auch Kristus Ronaldo und Yung Hurn um dieselbe Person handelt. Doch nur die wenigsten wissen, dass K. Ronaldo eigentlich Yung Hurns älterer Bruder ist. Gemeinsamkeiten finden sich dennoch im Aussehen und in Ähnlichkeiten der Inhalte, wie z.B. Koks. Kein Wunder also, dass K. Ronaldo erst vor kurzem aus der Rehab in Los Angeles entlassen wurde. Kurz darauf dropped er mit I wanted to kill myself but today is my mothers birthday ein Mixtape, das sich mit den wichtigen Fragen des Lebens beschäftigt. Diese lauten „Wer bist du?“ und „Wieso gibt´s am Friedhof kein Burgerking?“.
Er selbst sagt von seinem Album: „It‘s a lifestyle. It is a middlefinger to other rappers in my country“ und genauso kann es auch verstanden werden.
Auf diesem Album geht es definitiv nicht um Inhalte, sondern darum, sich selbst treu zu bleiben und das schafft K. Ronaldo sehr gut.

Anspieltipps: „Mir geht es gut“ & „Coco Jambo“

Frank Ocean – Blond

Endlich! 4 Jahre nach Channel Orange released Frank Ocean sein 2. Studioalbum und das Warten hat sich gelohnt. Blond heißt das gute Stück. Man kann viele verschiedene Einflüsse, zum Beispiel R & B, Psychedelic Pop oder auch Minimal Music, raushören. Dies liegt auch an der Zusammenarbeit mit 12 verschiedenen Producern, darunter Jamie xx und Tyler, The Creator. Diese Vielfältigkeit kombiniert er mit seiner Stimme, die wie auch schon in Channel Orange oft gepitcht wird.
Es wird bewusst auf zu poplastige Lieder, wie auf dem Vorgängeralbum Lost verzichtet und man besinnt sich auf tiefgründe Texte und die außergewöhnliche Stimme. Die Lyrics setzen sich unter anderem mit Erfolgsdruck, Sex, Drogen und unserer Konsumgesellschaft auseinander.
Auf Blond hat Frank Ocean es geschafft trotz vieler Einflüsse von Pop und Rockgrößen ein in sich schlüssiges Album zu kreieren, welches sich nochmal stark von seinen vorangegangenen Werken abhebt.

Anspieltipps: „Self Control“ & „Solo“

David Bowie – Blackstar

Am 8. Januar, Bowies 69. Geburtstag, erschien das 25. und gleichzeitig auch letzte Studioalbum eines Ausnahmekünstlers. Während des gesamten Schaffensprozesses des Albums wusste Bowie um seinen kritischen Gesundheitszustand, den er jedoch vor der Öffentlichkeit geheim hielt. Also kann das Album durch die mehrfachen Referenzen zu seiner Krebserkrankung auch als ein autobiographischer Abschiedsbrief verstanden werden.
Die Platte kann im Vergleich zu ihren Vorläufern nochmal an die starken Alben der 70er und 80er Jahre anknüpfen. Mit deutlichen Einflüssen aus dem Artrock und Jazz entfernt sich das Album weg vom Pop und Bowie schafft es wieder einmal sich neu zu erfinden. Der Produzent Tony Visconti äußerte außerdem, das Album sei durch Kendrick Lamars To Pimp a Butterfly inspiriert worden. Durch ihre Vielseitigkeit und angenehm jazzigen Sound besticht auch diese Platte ein letztes Mal.
Zwei Tage nach der Veröffentlichung von Blackstar verstarb David Bowie.

Anspieltipps: „Blackstar“ & „´Tis a Pity She Was a Whore“


Alba Kemmer Alonso

Panic! At The Disco – Death Of A Bachelor

Was tun, wenn man als einziges Bandmitglied einer ehemaligen Emo-Band übrigbleibt?
Richtig! Man beweist allen, dass es nicht nur solo weitergehen kann, sondern auch stilvoll in Musikrichtungen, die niemand erwartet hätte. Wer bei Panic! At the Disco immer noch an die Ära von I Write Sins Not Tragedies denkt, sollte lieber in das neue Album reinhören, das von Brendon Urie selbst als eine Mischung von Queen und Frank Sinatra beschrieben wird – was auch irgendwie Sinn ergibt. Mal etwas düster und schwerherzig und dann doch wieder sorglos und wild – dieses Album ist eine extravagante Party, die nichts auslässt.
Urie beeindruckt durch seine große Leistung, dieses Album eigens geschrieben und, ausgenommen das Horn, jedes Instrument selbst eingespielt zu haben. Death of A Bachelor vereint die richtige Menge an Pop-, Jazz-, Hip- Hop- und den altbekannten Panic! At the Disco Rock-Elementen – und erfindet sich nebenher vollkommen neu.

Anspieltipps: „Death Of A Bachelor“ & „Emperor’s New Clothes“

Tom Odell – Wrong Crowd

Auch wenn viele dem neuen Album von Tom Odell seine poppige Note ankreiden, werden sich wohl auch alle Kritiker darüber freuen, seine charakteristische Stimme und melancholischen Texte wieder zu hören. Drei Jahre nach seinem Debütalbum teilt der blonde Brite seinen Herzschmerz erneut mit uns, dieses Mal in Form einer fiktiven Geschichte über einen Mann, der in Jugenderinnerungen schwelgt. Balladen fehlen auch hier nicht, obgleich sie energetischer als beim Vorgänger umgesetzt werden und von einer größeren Vielfalt an neuen Instrumenten. Überhaupt ist Odell an seiner Arbeit gewachsen: Man merkt, dass Wrong Crowd kein Doppelgänger des Erstlings werden sollte, sondern die kreative Erweiterung von Odells Fingerabdruck darstellt.
Im Gegensatz zum ersten Album klingt das diesjährige eher nach Sommer, die schweren Töne wirken leichter und verspielter, man spürt förmlich Odells Verlangen nach Natur und Unschuld – und erneut steckt in jedem einzelnen Tastenschlag eine Welle von Emotionen.

Anspieltipps: „Concrete“ & „Daddy“

The 1975 – I like it when you sleep, for you are so beautiful yet so unaware of it

Mit 71 Zeichen setzen The 1975 einen Rekord für den längsten Albumtitel in den Billboardcharts – ihr neuestes Album zeichnet sich charakteristisch eben durch solche lyrischen Raffinessen aus. Matthew Healys clevere, manchmal zynische Beobachtungen schaffen es immer wieder, sich in den Vordergrund der bereits funkigen und mitreißenden Musik zu stellen. Vielleicht ist genau dieser Widerspruch zwischen den leichten Tönen mit dem Disco-artigen Flair und den bitterwahren Worten so faszinierend. Vielleicht liegt die Faszination aber auch im Zusammenhang zu ihrem Debütalbum, indem sie alte Lyrics aufgreifen: “She had a face straight outta magazine” (“Robbers”)- “You used to have a face straight out of a magazine/Now you just look like anyone” (“A Change of Heart”). Alles in allem ist The 1975s zweites Album ein ästhetischer Augen- und Ohrenschmaus, dem man ansieht, wie viel Kreativität und Hintergedanken die Band investiert hat.

Anspieltipps: „The Sound“ & „Loving Someone“


Jakob Brinkmann

Saint Motel – Saint Motelevision

Achtung: Gute Laune garantiert! Die 2007, von den damaligen Filmstudenten A/J Jackson und Aaron Sharp, in Kalifornien gegründete alternative Rock-Band veröffentlichte im Oktober diesen Jahres ihr zweites Studioalbum, nachdem sie auch verschiedene Singles wie „My Type“ veröffentlicht hatten. Ähnlich wie bei der angesprochenen Single schaffen es die vier Musiker aus Los Angeles mit allen zehn Liedern auf dem neuen Album Saint Motelevision, das Bedürfnis zu wecken, sein Tanzbein schwingen zu wollen. Generell zaubert die Mischung aus Indie Rock, Musik der 70er gepaart mit Blues- und Jazzelementen gerne ein Lächeln aufs Gesicht und der Abwasch ist auf einmal wie von selbst gemacht. Dass die Band sich aus einem filmischen Hintergrund gebildet hat, ist beim Betrachten der Musikvideos kaum zu übersehen. Mit viel Liebe fürs Detail wurde auch dieses Jahr für die Leadsingle „Move“ ein Video ganz im Stil der 60er Jahre produziert. Ästhetisch eine Reise in jüngste Vergangenheit.

Anspieltipps: „Sweet Talk“ & „Move“

Okta Logue – Diamonds and Despair

Das hessische Quartett, das bis 2016 eigentlich für ihren Retro-Rock bzw. Neo-Prog (gerade in den USA) bekannt war, haben nach zwei Jahren ihr neues und damit drittes Studioalbum rausgebracht. Unter anderem die dazukommenden Synthesizer-Sounds lassen das Album viel poppiger wirken. Damit entsteht eine sehr interessantere Mischung aus poppigen Sounds, Melodien, die eine Sehnsucht herbeiführen und feinen, sich gerne auch in die Länge ziehenden Gitarrenriffs. Mit Diamonds and Despair definieren Okta Logue eine eigene Klangart und lösen sich etwas von dem bekannten Klang solcher Bands wie Pink Floyd und Neil Diamond, der die Alben vorher sehr stark prägte. Was aber bestehen bleibt, ist das Können der Bandmitglieder und die Qualität des Sounds. Mit dem Lied „Summerdays“ bleibt auch eine Tradition bestehen. Mit dem 12 Minuten langen Lied reist man durch eine wunderbare Klangwelt, wobei einem der Wunsch, dass das Lied nie enden soll, fast erfüllt wird.

Anspieltipps: „Pitch Black Dark“ & „Diamonds and Despair“

Leonard Cohen – You Want It Darker

Legende und Kanadier Leonard Cohen bewies mit seinem 14. Studioalbum nochmals, dass er mit Monotonie umzugehen weiß. Aufgebaut sind die Lieder eigentlich immer sehr ähnlich, dennoch sind es die Feinheiten, die jedes Lied besonders machen. Produziert von seinem Sohn Adam Cohen und Patrick Leonard, der auch schon bei früheren Alben für die Musik verantwortlich war, steht auf diesem Album das gesungene bzw. gesprochene Wort noch stärker im Vordergrund. Einfache, meist melancholische Rhythmen von denen sich seine gottähnliche, tiefe, raue Stimme erhebt, mit der der 82-Jährige ganz klar gezeigt hat, dass er auch noch nach gut 50 Jahren im Musikgeschäft kein bisschen an Qualität verloren, ganz im Gegenteil, an Brillanz gewonnen hat. Der einsame Vogel auf dem Kabel, der sich, in mitten der bunten 60er, im schwarzen Anzug trauergeladen einen Namen gemacht hatte, verabschiedet sich auf einem unfassbar schönen und sinnlichen Album mit den Worten: „I am ready my Lord“.

Anspieltipps: „You Want It Darker“ & „It Seemed The Better Way“

Hier alle Tracks zum Nachhören: