AZD

BY

Actress

Release

14.04.2017

Label

Ninja Tune

Der Rezeptionskontext wirkt sich immer auf die eigene Wahrnehmung aus. Auch Actress’ Tracks funktionieren z.B. zu jeweiligen Tageszeiten in verschiedener Weise und werden tendenziell nicht als Soundtrack der Wahl, wenn es darum geht, sein Frühstücksei zu verzehren oder den Rasen zu mähen in die Geschichtsbücher eingehen. Kurz: Manche Musik hört man besser im Dunkeln und jene von Darren Cunningham fällt genau in diese Kategorie. Und wenngleich AZD fast schon eine Art Kontrast zum dämmerungssüchtigen Gruftpulsieren Ghettoville, das mit jeder Lichtquelle auf Kriegsfuß stand und Übeltätern, die mit Lichtschalterbetätigung liebäugelten, seine ausgedörrten Beats auf die Finger hetzte, setzt und weniger zersplittert als die ausgebleichten und verzogenen Discogeschosse von Vorvorvorgänger Splazsh daherkommt, wird stimmungstechnisch im Grunde noch immer Tristheit in all ihren Facetten durchdekliniert. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn dem jüngsten Nachwuchs im Hause Actress irgendwer als Ablenkungsmanöver leicht schludrig einen Satz Pailletten aufgebügelt hat.

“It’s a sound vitamin that’s helped to clear my palate of Ghettoville – a happy drug that’s made me happy to be Actress”, meint Cunnigham selbst dazu. Doch wie gesagt: Schon die Singles machen klar, dass der Zustand “happy” Bestandteil eines Verhältnisses ist, auf verschiedenen Ausgangslagen rekurriert und Actress’ Songs nach wie vor ein ganzes Bündel an Psychosen in ihrem Rucksack umherschleppen. Obendrein wurde AZD durch sein Setting bereits vorab von potentiell dystopischen Bedeutungsgehalten eingefärbt, denn es knüpft sich das altbekannte Thema des nachanthropozentrischen Szenarios vor und versucht musikalisch auszustaffieren, wie eine solche Zukunft, hier in Form einer Welt aus Chrom, aussehen könnte.

Trotzdem ist AZD weder Sequel zum ghettovilleschen Grabestanz noch die große endzeitliche Geste geworden. Es bedient sich weniger im postapokalyptischen Schauermärchenspektrum, sondern streicht eher den anbändelnden Charakter der Hand-in-Hand-Symbolik seines Covers heraus. “The bleakness of life in the Metropolis” bleibt zwar weiterhin ein Motiv, doch statt offen menschliche Unterwerfungselegien zu inszenieren, wird die Einsicht angeboten: “The technology is just there – unless you do something with it, it doesn’t do anything. So it’s always a human expression. That’s how things will ultimately change.” Womöglich singt AZD keine Lieder über Zerstörung, sondern Selbstbestimmtheit und neigt sich insgeheim sogar in Richtung Vertrauensbekenntnis.

Lässt sich also am Ende vielleicht sogar so etwas wie eine tiefere Moral aus dieser Konstellation herausdestillieren? Man weiß es nicht. In erster Linie ist AZD aber fraglos eine Clubplatte, beziehungsweise das, was man sich im Actress-Kosmos darunter vorstellen darf. Besonders “X22RME” reichert die Atmosphäre mit industrieller Schwere an und evoziert automatisch die robuste Stahl-und Beton-Ästhetik stillgelegter Fabriken. Überhaupt ist diese Platte vor allem etwas straighter als der bisherige Output Actress’ geraten, so dass speziell gegen Ende tatsächlich Momente entstehen, in denen es fast ein wenig herzlich wird: “Faure in Chrome” fährt dramatische Streicher auf, die den Eindruck vermitteln, sich aus dem Blunt/Copeland-Universum hierher verlaufen zu haben und “Visa” wirft schamlos waschechtes 60s-Soul-Feeling mit hektischem 8-Bit-Hicksen in den Mixer. “There’s An Angel In The Shower” verströmt in seiner Zurückhaltung dann ebenfalls eine gewisse Eleganz, wirkt dabei aber passenderweise wie eine Beobachtung durchs Milchglas. Schönheit ist eben oft erst abgeschottet und muss sich ihren Weg durch einen Wahrnehmungspuffer bahnen. Beinahe sinnbildlich lässt sich nach fünf Actress-Platten somit festhalten: Das gänzlich Unmittelbare war noch nie die Sache des Darren Cunningham und bleibt es erfreulicherweise noch immer nicht.