Ansgar Wagenknecht

Blood Red Shoes – Blood Red Shoes
Der Name ist Programm. Das vierte Album des englischen Duos scheint genau das geworden zu sein, worauf die Band immer hinauswollte. Selbstbetitelt und selbstproduziert vereint Blood Red Shoes den punkigen Garagenrock der ersten beiden Alben mit den durchdachteren und poppigeren Liedern der Vorgängerplatte. Wieder einmal beeindrucken Gitarristin Laura-Mary Carter und Schlagzeuger Steven Ansell mit ihrem druckvollen und satten Sound, bei dem man trotz nur zwei Instrumenten nichts vermisst. Gesanglich bleibt alles beim Alten. Gitarristin und Schlagzeuger wechseln sich genauso ab, wie ruhiger Gesang mit lauten Passagen. Blood Red Shoes klingen 2014 nicht mehr so energisch und jugendlich-wütend wie noch auf ihren ersten beiden Alben. Dafür überzeugt die Platte mit einem reiferen, oft zum Stoner-Rock tendierenden Sound, der dem Duo ebenso gut steht und scheinbar der Stil ist, in dem sich die beiden am besten gefallen.
Anspieltipps: „An Animal“ & „Speech Coma“

Pascow – Diene der Party
Pascow machen auch 2014 das, was sie am besten können: energiegeladenen Punkrock mit intelligenten Texten. Oft sehr politisch und kritisch, manchmal aber auch persönlich gehalten, verzichten die Songs auf Diene der Party – wie von Pascow gewohnt  auf stumpfe Phrasen und bieten viel Freiraum für Interpretationen. Musikalisch lässt sich die Band dabei kaum auf Experimente ein. Getragen werden die Lieder von melodiösen Gitarrenriffs und dem markanten Gesang von Sänger Alex Pascow. Beim Hören von Diene der Party stößt man schnell auf zwei Pascow-typische Fragen: „Lief das Lied nicht eben schon?“ und „Was genau hat er da gerade gesungen?“. Ein Problem ist das aber nicht. Das ist eben Punkrock. Beim genaueren Hören bietet jeder einzelne Song Besonderheiten und um die Stärke dieses Albums wirklich erkennen zu können, lohnt es ohnehin, sich genauer mit den Texten zu beschäftigen. Mitunter muss man sie einfach im schönen Booklet nachlesen.
Anspieltipps: „Im Raumanzug“ & „Diene der Party“ 

Spaceman Spiff – Endlich Nichts
Zugegeben, deutschsprachige Singer-Songwriter-Musik gibt es ja jede Menge. Spaceman Spiff gehört aber schon seit seinem Debütalbum zu einem der Besten seines Faches. Besonders mit Endlich Nichts sticht er jetzt aus der melancholisch-grauen Masse heraus. Weil er schon im ersten Lied klarstellt, dass vorwärts für ihn keine Richtung ist, bezeichnet man das Album wohl besser als eine „Soundveränderung“, als einen „großen Schritt nach vorne“. Im Gegensatz zu den beiden Vorgängerplatten, werden in Endlich Nichts erstmals bei fast jedem Lied Text und Gitarre von mehreren Instrumenten unterstützt. Dadurch wird das Album wunderbar abwechslungsreich. Sehr sympathisch macht Spaceman Spiff, dass sein Gesang und seine Texte nie übertrieben weinerlich klingen und um jeden Kitsch herumkommen, dafür aber umso mehr Identifikationspotenzial bieten. Endlich Nichts ist eine der positiven musikalischen Veränderungen 2014.
Anspieltipps: „Vorwärts ist keine Richtung“

Christin Liese

Wolfmother – New Crown
In allen Lexika sollte die Stimme von Wolfmother-Frontmann Andrew Stockdale als Auslöser für Gänsehaut aufgeführt werden. Fünf Jahre ist der Release des Vorgängers Cosmic Egg her, da wurde es nur Zeit für einen Nachfolger. Mit New Crown veröffentlichte die australische Band im März ihr drittes Studioalbum, das mit 10 Tracks geschmückt ist. Deren Klang ist warm, vertraut und dabei gleichzeitig überraschend, da diesmal ein Gefühl von urigem Garage-Rock vermittelt wird. Schon während des Intros entführt Wolfmother die Hörer in eine Garage, in einen kuschligen Sessel, den Geruch von Bier und dem Holz der Gitarren in der Nase. In wenigen Songs haben sich Blues-Elemente eingenistet, die den Sound emotional untermalen und ihm eine sehr sexy Note geben. Auch wenn die Bandmitglieder, abgesehen vom Frontmann, gewechselt werden wie Socken, so bleibt das vermittelte Gefühl der Songs das Gleiche – und das ist auch gut so. Jeder braucht Konstanten im Leben.
Anspieltipp: „Heavy Weight“

Alex Banks – Illuminate
Alex Banks erinnert mit Illuminate in diesem Jahr an das gelungene Werk II von Moderat, das 2013 erschienen ist. Denn der Klang von Alex Banks’ erstem Studioalbum ist wild und gleichermaßen tiefenentspannt, verbindet hektische, elektronische Elemente mit langsamen und deepen Beats. Der Vergleich mit Moderat ist kein Zufall, denn Mr. Banks veröffentlichte sein „erhellendes“ Debüt bei Monkeytown, dem hauseigenen Label von Modeselektor. Illuminate vereint diese Art von elektronischen Klängen, die man während der Arbeit hören kann, ohne nervös mit den Beinen zu zucken, aber gleichzeitig auch in dunklen Kellerclubs zum Besten kommen und einen zum wilden Tanzen verführen. Die schwerfällige und kühle Stimme von Elizabeth Bernholz verleiht den Songs die benötigte Distanz und reißt einem mit ebenjener förmlich ein Loch ins Herz. Das Debüt des Briten ist eher der eiskalte und klare Winter anstatt der Williams „Happy“ Sommer.
Anspieltipp: „Phosphorus“

Edgar Wasser – Tourette-Syndrom EP
Keine Rap-Perle ist dieses Jahr prächtiger und glänzender als Edgar Wassers Tourette-Syndrom EP. Da rapt er im Intro von keinem tieferen Sinn seiner Texte und führt einen damit gewaltig an der Nase herum. Gewissheit, ob Edgar Wasser seine Texte ironisch oder ernst meint? Fehlanzeige. So rapt er in „Faust“: „Diskriminierung ist nicht cool, du Spast, Diskriminierung ist behindert“ und zwingt zur Auseinandersetzung mit seinen Zeilen. Aber je mehr man über seine Worte nachdenkt, desto stärker wird die eigene Meinung gebildet. Gelungene Manipulation? Auf jeden Fall wird sie gekonnt von eindringlichen Beats, Features mit Maeckes und Weekend, sowie Einspielern von Filmszenen getarnt. Sie ist verstörend tiefgründig und man kann es nicht anders sagen, fickt des Hörers Gehirn. Somit ist die EP nichts für Zwischendurch, aber dank einer Stunde Gesamtlänge genau das Richtige, um sich im Alltag mal gesellschaftlichen Problemen zu widmen.
Anspieltipp: „Westcoast W“

Dominika Palka

Chet Faker – Built On Glass
Enorm große Selbsterwartungen haben die Arbeit an Built On Glass immer wieder verlängert. Insgesamt drei Jahre hat Chet Faker an seinem Debütalbum gefeilt. Das Ergebnis ist klar, souverän und distanziert. Built On Glass erobert mit seiner ruhigen Art schrittweise das Herz des Hörers und verweilt lange darin. Jedes Mal zeigt das Album eine neue Facette, ist aber unaufdringlich und wird auch beim Rauf-und-runter-Hören nicht anstrengend. Chet Faker präsentiert ausgereiften Pop, der Genre-Grenzen auslotet und wandelbar ist. Die A-Seite der Platte ist dicht gefüllt mit Soul- und R’n’B-Einflüssen, baut Spannung auf und wird zum Ende mit angehaltenem Atem gehört. Elektronischer, gelöster und ausufernder geht es auf der B-Seite zu. Konsequent nimmt Chet Faker das Tempo raus und fadet das Album allmählich aus, als ob er ihm ein offenes Ende verleihen möchte.
Anspieltipps: A – „Gold“ & B – „1998“

Curtis Harding – Soul Power
„Keep On Shining“, die erste Single von Curtis Harding, kam heraus und es wurde Licht! Es war die Ankündigung für ein hervorragendes R‘n‘B- und Soul-Album, doch die Debütplatte ist wesentlich mehr geworden. Sie lässt sich keinesfalls auf die souligen Arrangements oder den erstklassigen, oft Gospel angehauchten Gesang von Harding reduzieren. Genauso viel Platz nehmen Gitarre und Schlagzeug ein und geben dem Ganzen einen ungezähmten, rockigen Charakter. Aus dieser Verbindung entsteht ein intensiver und voller Klang, der Begierde und Sehnsucht offenbart. Harding erzeugt eine schwüle Atmosphäre, die sich dank des rockigen Einschlags jeglicher Banalität entzieht. Soul Power ist ein stilsicheres Debüt und ein Grund, sich mit anderen musikalischen Projekten von Curtis Harding zu beschäftigen.
Anspieltipp: „Next Time“

Wildbirds & Peacedrums – Rhythm
Von Anfang an hatte die Musik von Wildbirds & Peacedrums einen reduzierten und klaren Ansatz. Um ihrer Vorstellung den richtigen Ausdruck zu verleihen, hat die Band viel experimentiert und Neues ausprobiert. So hat sich das Duo oft von ihren Wurzeln entfernt. Rhythm ist genau das, was Wildbirds & Peacedrums seit Jahren angestrebt haben: Eine unmittelbare und reine Platte, die Raum lässt, aber gleichzeitig mit Energie und Emotionen vollgepackt ist. Ein Schlagzeug und eine Stimme – minimalistisch und trotzdem ausdrucksstark. Beim Album Nummer vier setzt das Duo wieder verstärkt auf Tempovariationen und schöpft aus R‘n‘B und Gospel. An der einen oder anderen Stelle verbirgt sich die sphärische, lang gezogene und ausufernde Art, die an die Vorgängeralben erinnert. Insgesamt ist Rhythm jedoch schnörkellos, energetisch, vielleicht manchmal etwas karg, aber genau das macht die Platte so besonders.
Anspieltipps: „Keep Some Hope“ & „Gold Digger“

Juliane Hönisch

Bratze – Highlight
Das Duo verbindet vermeintlich Widersprüchliches – Singer-Songwriter mit Electro. Leider ist Highlight schon vor zwei Jahren erschienen. Dennoch war 2014 für viele ein Bratze-Jahr. Im Oktober hat sich die Band nach 8 Jahren, 3 Alben und 244 Konzerten aufgelöst. Kevin Hamann und Norman Kolodziej wollen sich in Zukunft anderen Projekten widmen. Ihre Musik war in diesem Jahr vor allem unter Audiolith-Fans unglaublich präsent. Highlight hält dabei, was der Name verspricht. Die Texte sind durchdacht und nicht leicht durchschaubar, voller Doppeldeutigkeiten und dem kreativem Wortwitz Hamanns. Die Beats von Kolodziej sind tanzbar, auf den Punkt und für Bratze ungewohnt eingängig. Selten schaffen es Bands, Kopf und Beine gleichermaßen gut zu beanspruchen. Bratze haben es auf jeden Fall verdient, an dieser Stelle ein letztes Mal gewürdigt zu werden. Auch wenn das Erscheinungsdatum des Albums nicht mit der aktuellen Jahreszahl übereinstimmt.
Anspieltipp: „Insel“

All The Luck In The World – All The Luck In The World
Mit „Never“ kam für das irische Trio der Durchbruch. Die Single war der Werbesong für ein Reiseportal. Gleichzeitig waren All The Luck In The World dadurch einfach nur die Band aus der Werbung und hatten es umso schwerer, über die Single hinaus Erfolg zu erlangen. Doch wer sich an das komplette Debütalbum der Band gewagt hat wurde nicht enttäuscht. Die Liebe zu ihrer irischen Heimat, die Berge und Wälder, lässt sich schon am Cover erkennen. Passend dazu machen All The Luck In The World ruhigen Indie-Folk. Auch musikalisch spürt man ihre Verbundenheit zur Natur. Durch raffinierte Extras bringt die Band Abwechslung in den intimen Sound und lässt den Hörer den Zauber Irlands spüren – ein paar Bläser hier, Synthesizer und einige Streicher da. Man möchte gleich los ziehen, verträumt durch die Natur wandern und seinen Gedanken nachhängen. Eine bessere Wahl hätte das Reiseportal also nicht treffen können.
Anspieltipp: „Your Fires“

Left Boy – Permanent Midnight
Mit seinem ersten Album legt der gebürtige Österreicher einen ordentlichen Start hin. Aus Permanent Midnight hört man die verschiedensten Musikstile heraus – Hip-Hop, Pop, Drum’n’Bass, Electro. Am besten gelingen Left Boy dabei die Party-Songs, wie der Erfolg von „Get It Right“ oder „Security-Check“ beweisen. Aber es geht auch emotional. In Star erzählt der Rapper von der Wechselseitigkeit des Ruhms und bringt seine Selbstzweifel zum Vorschein. Doch bei all der sowohl inhaltlichen, als auch musikalischen Abwechslung behält Left Boy seine Authentizität allein durch seine unverkennbare Stimme. Sie lässt dem Album seine klare Linie beibehalten und macht Permanent Midnight, wie auch Left Boy selbst so empfehlenswert.
Anspieltipp: „Security-Check“

Lara Bühler

Royal Blood – Royal Blood
Wenn der Drummer der Arctic Monkeys dein Fanshirt trägt, bevor du deine erste Single herausgebracht hast, stehen die Sterne auf Erfolg. So lief es bei der 2013 gegründeten Rock-Band Royal Blood. Anders als die meisten Rock-Bands brauchen sie keine Gitarre, sondern erschaffen ihren Sound nur mit Bass und Schlagzeug. Royal Blood wurde sowohl für den BBC Sound of 2014, als auch für den Mercury Price nominiert – und das zu Recht. Obwohl Mike Kerr und Ben Thatcher allein auf der Bühne stehen, schaffen sie es, eine gewaltige Klangmauer aufzubauen. „Come on Over“ beispielsweise könnte man durchaus in die 90er Jahre einordnen, so roh klingt der Bass, so präsent das Schlagzeug. Die Inspiration für ihre Songs zieht die Band aus persönlichen Erfahrungen, Schuldgefühlen, wie bei „Careless“, das sich um ein Beziehungsende dreht. Royal Blood legen ein klangvolles Debüt hin und wir werden sehen, ob die Band weiterhin ihren erfolgweisenden Sternen folgen kann.
Anspieltipp: „Figure It Out“

Talking to Turtles – Split
Nachdem Talking to Turtles ihr letztes Album in Seattle aufnahmen, geht es nun zurück nach Deutschland. Split thematisiert genau das: Unterwegssein und Unterschiede. Da die Platte in zwei Sessions produziert wurde, splittet sie sich auch in zwei Teile: Die Songs finden im Verlauf der Platte jeweils einen thematischen Zwilling, der jedoch einen anderen Blickwinkel einnimmt. „Passenger Seat“ und „Fling“ sind solche: Beide Songs handeln von einer Reise, physisch und gedanklich, und verbinden so Erinnerungen und Gefühle an das Unterwegssein. Talking to Turtles scheinen seit ihrer Zeit in den USA gewachsen zu sein. Split klingt einheitlicher, weniger verspielt, als man das von dem Duo gewohnt ist, jedoch mit dem altbekannten liebevollen Pfiff, wie Synthesizern oder Snare Drums.
Anspieltipp: „Passenger Seat“

Leoniden – Invert India (EP)
Invert India ist das Debüt der fünf Jungs aus Kiel, die sich selbst irgendwo zwischen „Justin Timberlake auf Speed“ und „keine Künstlertypen“ einordnen. Funk, Indie und Pop vereinen Leoniden in den 5 Songs, die zweifelsohne zum Tanzen anregen. Sie entwickeln mit ihrer ersten EP sofort einen eigenen musikalischen Fingerabdruck. Die Mischung aus Indie und Funk sucht gerade unter Newcomern ihresgleichen. Songs, die langsam beginnen, steigern sich zu schnellen Up-Tempo-Nummern. Eingängige Refrains und der verstärkte Einsatz von harten Bässen und Drums machen die Songs eingängig. Mit Invert India haben es Leoniden gleich zu Beginn Laufbahn geschafft, ganz individuelle Künstlertypen zu werden, die sich musikalisch von der groben Masse abheben.
Anspieltipp: „Storm“ 

Maria Posselt

Bass Drum Of Death – Rip This
John Barrett ist der Mann, der hinter dieser verdammt guten Garage-Rock-Platte steht. Er ist ein wahres Naturtalent. Von den ersten beiden, von ihm im Alleingang und sorgfältiger Eigenregie aufgenommenen Platten zu Rip This ist wenig Zeit vergangen. Dennoch hat sich einiges verändert. In dem Album erwartet den Hörer erstmalig das Produkt einer Zusammenarbeit von Barrett und seinem neuen Bandmitglied und Todestrommler Len Clark. Zudem wird die Entscheidung, die neue Platte erstmals in einem Studio zu produzieren, mit einem besseren Sound belohnt. Die Songs von Rip This gehen ins Ohr und bleiben dort auch. Schrammelmusik mit LoFi-Charakter, zu der man sich einfach bewegen muss. Und natürlich: Liebe und Drogen kommen bei diesen unfassbar guten Rocksongs nicht zu kurz. Weiter so, Mr. Barrett!
Anspieltipp: „Left For Dead“

The Notwist – Close To The Glass
Mit Close To The Glass beweisen The Notwist, dass sie gestandene Musiker sind. Was sich damals als Metal-Band gründete, ist heute nicht wiederzuerkennen und klingt wahnsinnig gut. Seit nun fast 30 Jahren beglücken sie uns alle paar Jahre mit einem neuen Album. Zeit spielt keine Rolle. Besonders wichtig ist ihnen, das für sich beste Ergebnis auf eine Platte zu bringen. Um die 100 Tage bastelten die Jungs im Studio an ihrem neuen Album. Close To The Glass, scheint zusammengesetzt zu sein wie eine Collage und lässt unglaublich viel Raum zum Entdecken. Von klassischen Gitarrenakkorden, über Instrumentals, bis hin zu elektronischen Hymnen, wie der gleichnamige Track „Close To The Glass“, ist alles auf der Platte zu finden. Musikalisch gesehen dürfte die Platte also keine Wünsche mehr offen lassen.
Anspieltipp: „Kong

The Picturebooks – Imaginary Horse
Die Picturebooks haben dieses Jahr mit ihrer neuen Platte im Sturm sämtliche Herzen erobert. Kein Tag verging seit dem Release von Imaginary Horse, an dem nicht mindestens einmal „The Rabbit And The Wolf“ durch’s Zimmer schallte. Der Gedanke, dass die zwei Jungs mit großer Wahrscheinlichkeit aus Amerika stammen liegt ziemlich nahe. Sie klingen wie eine Motorradfahrt auf dem Highway und setzen uns mit ihren Rocksongs in der amerikanischen Wüstenlandschaft aus. Überrascht, dass sie Provinzkinder aus Deutschland sind? Die beiden Jungs aus Gütersloh präsentieren uns auf ihrer dritten Platte rohe, reduzierte Gitarrenklänge, aufgenommen mit nur zwei Mikrofonen in einer Garage. Simpel produziert, ein Meisterwerk des Lo-Fi Rocks.
Anspieltipp: „The Rabbit And The Wolf

Max Moritz

The Picturebooks – Imaginary Horse
Das Schöne an Musik als kulturelles Phänomen ist, dass jede Band und somit auch jedes Album eine Geschichte hat. Menschen verändern sich und oft hört man diesen Progress auch ihrer Musik an. The Picturebooks haben ihren Songs das Fleisch von den Knochen genagt und sind von einem wütenden postpubertären Indierock-Trio zu einem kompromisslosen Lo-Fi-Garagenrock-Duo geschrumpft. Nach dem Ausstieg des Bassisten nahmen sie sich eine Auszeit und reduzierten alles auf das Wesentliche, keine Becken und keine Gitarreneffekte mehr. Zwei Jungs, zwei Instrumente, zwei Mikros – aufgenommen in einer Garage in Gütersloh. Ein staubtrockener Sound mit einer durchdringenden Stimme über einem stampfenden Schlagzeug. Die Reduktion hat pure Energie katalysiert. Die Musik ist bemerkenswert, die Geschichte ebenfalls.
Anspieltipp: „PCH Diamond“

Kate Tempest – Everybody Down
Everybody Down ist eine Schnittstelle aus Hip-Hop, Rap und Spoken Word. Musikalisch sozialisiert durch einen Job im Plattenladen und nächtlichen Rap-Battles ist die 27-jährige Schulabbrecherin vor allem eines: Lyrikerin. Zwar wurden die Themen, ihrer Songs schon oft aufgegriffen – Gewalt, Drogen und zwischenmenschliche Probleme – Kate Tempest nimmt aber die Perspektive der unbeteiligten Beobachterin ein. Sie wertet nicht auf oder ab, sondern beschreibt nüchtern die vom Schicksal weniger Begünstigten. Dabei ist Everybody Down die Bühne für immer wieder auftauchende Charaktere und ihre sich kreuzenden Geschichten und Biografien. Ein Album, wie ein Buch – mit bitterem Beigeschmack und ohne Happy End.
Anspieltipp: „The Beigeness“

Melanie De Biasio – No Deal
Reduktion und Rhythmus; Stimme und Schlagzeug – dies sind die Schlagwörter für dieses Album. Eine intensive, oft düstere Platte, die von der sanften aber kraftvollen Stimme der Belgierin und einer stark Groove-betonten Rhythmussektion aus Schlagwerk und Bass bestimmt wird. Erweitert wird das minimalistische Konzept des Albums durch De Biasios Querflötenspiel und ein Piano. Es ist moderner Vocal-Jazz, der einerseits den Anschluss an Triphop sucht, andererseits keine Assoziationen mit Soulgrößen wie Nina Simone scheut, was durch das dekonstruierte Cover von „I’m gonna leave you“ noch unterstrichen wird. Durch Arrangements und Gesang, der oftmals nicht mehr als ein Hauchen ist, schafft De Biasio eine Atmosphäre der Geborgenheit, die mit musikalischer und textlicher Klarheit einhergeht – warmherzig, aber messerscharf.
Anspieltipp: „The Flow“

Mijdar Tasman

Pharrell Williams – Girl
Ein geglücktes Meisterwerk. Im Vergleich zum Vorgängeralbum ist Girl viel poplastiger, bunter und moderner. Denn für In My Mind waren markante Drum-Loops und Bass kennzeichnend. Nach acht Jahren Pause wollte sich Williams bei dem weiblichen Geschlecht bedanken und hat diese Danksagung in zehn Tracks verpackt. Einerseits beschert Girl den Hörer mit Flashbacks in die Blütezeit der R’n’B-Musik, andererseits hat Williams auch auf die Pop-Karte gesetzt und mit „Happy“ sowie Marilyn Monroe für Kassenschlager gesorgt. Mit seinem Soundtrack zu „Ich einfach unverbesserlich 2“ hat er eine weltweite Bewegung in Gang gesetzt, die dazu führte, dass Menschen auf der ganzen Welt Choreografien zu Happy einstudiert und im Internet verbreitet haben. Diesen Song und It Girl werde ich irgendwann mit ganz feuchten Augen meinen Kindern zeigen, da sie für mich legendäre Hits sind und die Musikszene der Neuzeit sehr geprägt haben.
Anspieltipp: „Marilyn Monroe“

Mac Demarco – Salad Days
Demarco hat den gesamten Weltschmerz dieses Planeten aufgesaugt und in einem Album reproduziert. Diesen Anschein hat es jedenfalls, sobald sich seine melancholische Stimme den Weg in die Ohren des Zuhörers gebahnt hat. Er hat hierbei seinen gewöhnlich lässigen Stil, den er auch auf seinem vorherigen Album zu hüten pflegte, beibehalten. Es fühlt sich an, als würde sich der Musiker dem Zuhörer öffnen und von seinen Problemen erzählen. Aber er berichtet nicht nur von seinen Sorgen, er gibt beispielsweise im Song „Let Her Go“, auf kitschige Weise Beziehungstipps. Es fühlt sich fast an, als würde man neben ihm sitzen und sich Anekdoten von ihm erzählen lassen. Aber auf eine charmante Art und Weise. Demarco unterstreicht seine teilweise miserable Gefühlslage mit lässigen Gitarrenklängen und Synthies, sowie dramatischen Melodien, die sich perfekt dafür eignen, einsam den Sonnenuntergang zu beobachten und dem Ex-Partner hinterher zu trauern.
Anspieltipps: „Let Her Go“ & „Chamber Of Reflection“

Haftbefehl – Russisch Roulette
Ein sehr kontroverses Album – ohne Frage. Gewaltverherrlichung, Drogen, das Leben im Ghetto. Aber eines muss man Haftbefehl lassen: Er hat dieses Jahr den Deutschrap auf markante Art und Weise geprägt. Denn auf Russisch Roulette erzählt Hafti einfach alles. Er war ein Koks-Dealer, der sich ein bequemes Leben ohne Geldsorgen ermöglichen wollte. Doch so bequem war der Weg zum Wohlstand nicht, dies erzählt er im Track Schmeiß den Gasherd an und stellt hierbei eine recht wichtige Frage: Willst du der König sein und leben in ‘nem Schloss / Oder ein Durchschnittsbürger, der lebt für sein’ Job?. Der Babo war früher, damals, als er auf den Straßen Offenbachs seine Geschäfte“ machte, sehr brutal und diesen Geschichtchen lauscht man Fingernägel knabbernd. Mal von den – wie gewohnt – teilweise schwer verständlichen, aber trotzdem (oder gerade deswegen) unterhaltsamen Lyrics abgesehen, hat Haftbefehl nur die besten Beats gepickt und somit ein Meisterwerk des Deutschraps geschaffen.
Anspieltipps: „Ihr Hurensöhne“ / „Saudi Arabi Money Rich“