Nur ein gutes Jahr nach „Kontakt“ legen Fjørt nun mit ihrem dritten AlbumCouleur, das am 17. November erscheint, direkt schon wieder nach. Und wie! Kein Grat glatter als die Vorgängeralben, sondern in gleicher Qualität weiter der stürmische wütende Post-Hardcore über 11 Stücke, mit dem die Band sich in den letzten Jahren über Genregrenzen hinweg viele Freunde machen konnte. Statt nur durch Lautstärke, entfalten die Lyrics von Fjørt vor allem in ruhigeren atmosphärische Passagen ihre Wirkung, immer wieder im Wechselgang zu bebenden, energiegeladenen Ausbrüchen. Dabei sind gerade die persönlichen und erzählerisch beschreibenden Textformen bei Fjørt hervorzuheben.

In einem Interview äußerte sich Chris, der Haupttexter der Band, einst, wenn er schreibt, müssen die Texte auch ohne Musik wirken können. Man müsse sie wie ein Gedicht vortragen können. Und das tun sie auch auf „Couleur“ nur zu gut. Fast jede Zeile könnte gut und gerne auch als Zitat an Wänden landen. Oft kryptisch, immer wieder im Unklaren, worum es eigentlich konkret gehen könnte – gerade darin liegt die Stärke in den Texten der Band. Sie lassen viel Raum für eigene Gedankengänge und Interpretationen. Mit der Faust in der Tasche, möchte man jede Zeile am liebsten direkt wieder aus sich herausschreien. Verknüpft mit der eigenen Gedankenwelt findet so ziemlich jeder seinen eigenen Grund dafür.

Wie zuletzt immer öfter zu erkennen, vermag es auch „Couleur“ den politischen und gesellschaftlichen Zeitgeist aufzugreifen und rufen zum Erheben der eigenen Stimme auf. Noch deutlich politischer als „Kontakt“ präsentiert sich „Couleur“ nun.

“Ich bin so müde vom Zählen, ich habe 1933 Gründe schwarz zu sehen. Doch egal wieviel da kommt, ich hab’ alles was ich brauch’, denn die 1933 Gründe, ihr habt sie auch.”

#05 Raison

Von ersterem ragte vor allem der Song Paroli mit seiner politischen Aussagekraft hervor. Mit dem Stück Raison, aber auch mit Couleur oder Mitnichten knüpfen Fjørt direkt daran an. Allerdings ohne mit dem Finger verachtend nur auf andere zu zeigen. Wiederstand gibt es, Raison macht das deutlich und verweist auf genügend Gleichgesinnte. Die Kritik richtet sich vielmehr an alle, die ihren Mund nicht selbst öffnen wollen. Die graue Einheit ohne Meinung, obwohl generell jeder hat die Recht und die Möglichkeit hat seine Ansichten und Gefühle auch nach außen zu tragen. Wer nicht zu seiner Meinung steht, kann von anderen kein Verständnis erwarten. Dabei ist der Austausch untereinander das Mittel zum Zweck. Ohne diesen können mitunter eigene Probleme weder identifiziert, noch behoben werden. Darauf baut sich das ganze Album.

„Und es wird laut, wenn du leise bist. Und was kostet dich denn mehr Schlaf? Das “Hätt‘ ich mal…” oder “Hätt‘ ich mal nicht”,“

#02 Couleur

Auch der Titeltrack Couleur greift diese Gedanken auf, möchte jedem Einzelnen Mut machen, die Stimme zu erheben, für die eigene Meinung zu stehen und nicht alles von Vornherein schon als gegeben und ausweglos anzusehen.

Auf „Couleur“ erweitern Fjørt ihren Stil nur geringfügig, was keinesfalls als Argument gegen die Band gewertet werden soll. Vielmehr bleiben sie ihrer Schiene der vorherigen Platten treu, bauen dabei den Anteil an stimmungsvollen Post-Elementen und ruhigeren Passagen noch weiter aus, wie im Opener Südwärts, Bastion oder dem Schlusstitel Karat, bevor die Stücke dann wieder aus sich herausbrechen. Hier und da (Eden und Zutage) tauchen nun auch Keyboard-Muster auf.

Gerade die B-Seite überzeugt auf dem Album besonders. Nacheinander übertreffen sich die Stücke. In Windschief legt sich das Lyrische Ich mit der eigenen „Gedankenpest“ an, die es in depressiven Phasen überkommt.

„Was dir fehlt, schneide ich aus mir heraus. Ich habe alle Zeit und kann alles sein, was du brauchst.“

#06 Windschief

Anschließend markiert Fingerbreit mit treibendem Schlagzeugrhythmus Aufbruchsstimmung („In dem Moment in dem du fällst, werden nur die Weichen neu gestellt und die Einsätze gezählt.“).

„Den Kopf nicht zu heben, um die Aussicht zu sehen, wird mir nie mehr geschehen.“

#07 Fingerbreit

Das post-lastige Stück Magnifique zeigt auf, dass auch Kleinigkeiten Großes bedeuten können. Besser aus eigenen Fehlern lernen und den Fokus auf das lenken, was einem tatsächlich am meisten bedeutet. Der Refrain des Liedes umfasst außerdem die wunderschöne Zungenbrecher-Textzeile: „Ich habe dich dabei erwischt, wie du majestätisch Leinwände füllst mit diesem wunderschönen ersten Pinselstrich.

„Und ich renne durch die Nacht – unerkannt, in der Hoffnung, zwei, drei Teile sind mein Ganzes dann. Ja ich renne, vor zurück zugleich, durch die Nacht, bleib unerkannt. Und der Dreck heiligt die Mittel dann, wenn ich losgelassen hab.“

#08 Magnifique

Im Rahmen der Hotel-Livesession (eine 25-minütige Albumpreview, die in einem Take in einem leerstehenden Hotel gedreht wurde und welche es hier bei Facebook noch zu bewundern gibt) wurde nach Couleur auch für Magnifique ein Video aufgenommen. Darin wurde das Lied grandios interpretiert, in einen Kampf zweier Protagonisten gegen in jungen Jahren früh einsetzende Demenz.

Im Stück Bastion gilt es dann wieder sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Ruhig beginnend, baut sich das Stück immer größer auf, bis der Refrain zu hämmern beginnt.

„Und wenn wir uns finden, finden wir uns dann aus Furcht?“

#09 Bastion

Mit Zutage wird das Ende des Albums mit einem (Post-)Hardcore-Brett eingeläutet. Ein unmittelbarer wilder Ausbruch, bevor für den Refrain mit wunderbarer Klavieruntermalung wieder einen Gang zurückschaltet.

„Wie war das noch? Ich sagte doch – fahre fort! Bist du zu leise, um zu gelten, wer hat dir denn erzählt, dieser ganze Schmutz von Gestern, wär’ leider hier nichts wert?“

#10 Zutage

Couleur“ ist ein starkes Gesamtwerk, das sich auch den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen nicht verschließt. Fjørt machen mit dem Album nur noch mehr deutlich, dass die eine der aktuell vielversprechendsten deutschsprachigen (Post-Hardcore) Bands sind.

Anspieltipps: Windschief / Magnifique / Zutage