Die Erwartungen für das zweite Album hingen hoch, nachdem die Young Fathers im vergangenen Jahr den Mercury Prize für ihr Debüt Dead absahnten. Geprägt von der englischen Rap- und Grime-Szene setzte sich das Trio irgendwo zwischen die Stühle Pop und Hip-Hop. Dabei achteten sie schon immer stärker auf experimentelle Sounds und das Songwriting, während aufwendige Reime eher eine untergeordnete Rolle spielten. Schnell sprach man von Alternative Hip-Hop in Bezug auf ihre Musik. Mit White Men Are Black Men Too kratzen sie nun nicht nur an diesem Label, sondern reißen es gänzlich ab.
Martin Luther King wanted equality and achieved it to some degree. But, after all that, are things equal in this world? FUCK NO. I still want to ask for it (equality) backed with the best music we’ve ever recorded. A pop album, our interpretation of what a pop album should be.
White Men Are Black Men Too ist ein Statement, das sich nicht nur im Titel widerspiegelt. Sie wollen mit diesem Album anecken und Diskussionen entfachen. Schon der Beginn des Albums ist opulent und wirkt fast überladen. Ein Glockenspiel, verzerrte Gitarren, Schellenringe, Choralgesänge, treibend plockernde Lo-Fi-Synthies. Häufig versteht man kaum mehr vom Gesang, als ein paar Textfetzen. So wirken die Young Fathers auf dem ersten Viertel der Platte wie Schamanen, die mit einem stampfenden Groove und schrägen Sounds eine leicht schaudrige Stimmung verbreiten wollen.
Alle halten uns aufgrund unseres Aussehens auch sofort für eine Hip-Hop-Gruppe. Aber das sind wir nicht.
Die Band selbst beschreibt ihre Musik schlicht als “Pop”. Natürlich haben sie aber eine ganz eigene Vorstellung von diesem Genre. Obwohl sich sämtliche Stile unter “Pop” subsumieren lassen, scheint es, als sei dieser Begriff zu ungenau, um die Band zu fassen. Ihre Musik ist schier zu anspruchsvoll, um “nur Populärmusik” genannt zu werden.
Wenn man einfach nur formelhafte Popsongs schreibt, klingt man wie alle anderen da draußen. Du brauchst ein Unterscheidungsmerkmal. Das hier ist unsere Version von Pop Musik, so wie wir uns Pop vorstellen. Deshalb betonen wir auch immer wieder, dass es sich auch um Pop handelt. Wir wollen schließlich wie die anderen Künstler auch im Radio gespielt werden und im Fernsehen auftreten. Wir wollen auf der gleichen Bühne stehen, so dass klar wird, dass es verschiedene Arten von Pop gibt. Und dass es eingängige Songs gibt, die dich zum Tanzen und Mitsingen einladen, und dennoch über eine gewisse Tiefe verfügen. Pop Musik muss nicht langweilig und eintönig sein.
Songs wie “Old Rock ‘n’ Roll” klingen kraftvoll und gleichzeitig unglaublich kaputt. Tribe-Gesänge scheinen den Hörer in Trance zu versetzen, während Klingeln, Stampfen und Schnauben im Hintergrund einer Reizüberflutung gleichkommen. Ein Song, symptomatisch für das Album: Unglaublich viele Spuren werden so übereinandergelegt, das man eher an Soundcollagen, als an Songs denkt.
In voller Fahrt ziehen die Young Fathers dann aber die (Not-)Bremse. Plötzlich scheint sich ein Pfad durch dieses Wirrwarr aufzutun. Mit Songs wie “Nest” oder “Liberated” scheint das Album in Richtung Positivität zu kippen. Wahrscheinlich haben mehr Fans auf Songs, wie diese gewartet. Das Album schließt mit dem passenden Titel für den letzten Song. “Get Started” lässt einem mit dem Willen zurück, das Album einfach nochmal zu hören. Das liegt nicht daran, dass man direkt das Gefühl hat, soeben eine neue Platte für die Insel gefunden zu haben, sondern man nach den ersten Durchläufen nicht so recht weiß, was man mit gerade Gehörten anfangen soll. White Men Are Black Men Too ist eine Herausforderung mit langer Halbwertszeit und viel Raum für individuelle Interpretationen, egal ob man es nun “Lo-Fi-Gospel”, oder schlicht “Pop” nennt. Wenn sich in Zukunft mehr Popkünstler so viele Gedanken um ihren Sound und ihre Aussage machen, dann werde ich auch mehr Popmusik hören.