Dirty Projectors

BY

Dirty Projectors

Release

24.02.2017

Label

Domino Recordings

Dirty Projectors heißt das neue Album der Dirty Projectors, der Band um das musikalische Mastermind Dave Longstreth. Dieser Satz stimmt nur halb: Dave Longstreth ist nämlich das einzige Mitglied der Band, dessen kreativer Input auf der Platte vertreten ist. Nachdem seine Beziehung mit seiner Freundin und Dirty Projectors-Mitglied Amber Coffman 2013 zerbrach, wanderte Longstreth einige Zeit später alleine & boniveresque von Brooklyn nach Los Angeles aus, nach eigenen Aussagen „um Miete zu sparen“. Wer das neue Album hört, bekommt eher den Eindruck, dass Longstreth seinem alten Umfeld so weit wie möglich entfliehen wollte. Die Berichte über Depressionen, Schreibblockade und sogar eine drohende Auflösung der Band unterstreichen diese Annahme.

Dass Dirty Projectors ein Trennungsalbum werden würde, war schon zur Veröffentlichung der ersten Single “Keep Your Name” zu erahnen. Auf dem Song sind anfangs Glockenschläge zu hören, diese verziehen sich zu einem elektrischen Fuzz-Geräusch, und Longstreths extrem gepitchte Stimme ertönt mit den Worten “I don’t know why you abandoned me”. Was folgt ist eine getriebene, hyperaktive Abfolge von harschen Anschuldigungen, Selbstkritik und den bitteren Abschlussworten “we keep on separate/ and you keep your name”. Das siebenminütige und verspielte „Up In Hudson“ verfolgt ein ähnliches Narrativ, diesmal sogar chronologisch auf die Beziehung mit Coffman bezogen und mit Anekdoten aus alten Dirty Projectors-Zeiten geschmückt. Auf Albumlänge ist eine gewisse Anlehnung an die Phasen der Trauer nach Kübler-Ross zu erkennen, die ersten Tracks sind ungläubig und wütend („Keep Your Name“, „Death Spiral“), selbst die Verhandlung findet kurz statt („Work Together“), bis nach kurzer Depression („Little Bubble“) die Akzeptanzphase stattfindet („I See You“).

what held us together
is what tears us apart/
so i’ll let go the tether
& you let go my heart

Dirty Projectors – “I See You”

Besonders die beiden letztgenannten Songs tragen in ihrer einfachen Schönheit zur Großartigkeit des Albums bei. „I See You“ schwingt sich gegen Ende zu epischen Orgelhöhen auf, während „Little Bubble“ zwischen sirrenden Streichern, Feedback-Geräuschen, gezupften Gitarren, Klaviermelodien und abgewürgten Bässen verschwimmt. Zusammengehalten wird das Ganze von Dave Longstreths sanfter Falsettstimme, die vom zerplatzten Mikrokosmos einer intimen Beziehung singt und davon, wie belanglos Träume überhaupt sein können, wenn niemand nach dem Aufwachen danach fragt. Im Video sieht man den Künstler in den Bergen, alleine im Gewächshaus und schließlich auf einer kalten Eisfläche seine „kleine Blase“ aus Rollrasen ausbreiten, alles perfekt inszeniert vom Naturfilmer Adam Newport-Berra.

Alleine und neu in Los Angeles kam Longstreth schnell in Kontakt mit anderen Musikern, deren frischer Einfluss zu einem neuen Dirty Projectors-Sounds beiträgt. Der kalifornische Produzenten-Guru Rick Rubin überzeugte Longstreth erst, das Material überhaupt zu veröffentlichen, und eine Kollaboration mit Solange Knowles auf ihrem Album führte auch zu einem gemeinsamen Song auf Dirty Projectors. Die A Seat At the Table-Sängerin scheint die ideale Kollaborateurin für Longstreth zu sein – der wunderbare Song “Cool Your Heart” ist definitiv der R’n’B-lastigste Track, den die Dirty Projectors je veröffentlicht haben. Ebenfalls in L.A. traf Longstreth den Ex-Red Hot Chili Peppers-Trommler Mauro Refosco, der auffällig viele Percussion-Klänge beisteuert. (Longstreth preist Refosco im Interview mit Pitchfork als jemanden an, der „einen Rhythmus in zwei herabfallenden Steinen finden könnte“.)
Weitere Kollaborationen entstanden mit Ty Braxton von Battles und Elon Rutberg, seines Zeichens Songschreiber von Kanye West. Ob der Kanye-Einfluss auch für die vielen Autotune-Stellen des Albums verantwortlich ist bleibt offen, fest steht aber, dass sich auch ohne digitale Nachbesserung die Vocals von Dave Longstreth stark verbessert haben und er besonders in den hohen Töne deutlich sicherer klingt. Ty Braxton wiederum zeigt sich für den verstärkten Synthesizereinsatz verantwortlich, er ist auf mehreren Tracks für den modularen Synth verantwortlich und kam Erzählungen nach zum Album, weil er das Studio neben Longstreth bewohnte und die beiden sich bei guten Songideen Klopf-Feedback über die Wände gaben. Die abgefahrenste Neuheit bleibt jedoch das hochfrequente Rauschen während des „Little Bubble“-Refrains: Hier bediente Longstreth sich eines Youtube-Videos über 3D-Drucker, spielte das Druckgeräusch über ein Gitarrenpedal ein und verwendete das Sample anschließend für seine Soundcollage. Schaffenskrise überwunden!

Dirty Projectors wird somit in vielerlei Hinsicht eine Chronologie des Strauchelns, aber auch des Wiederaufstehens. Dave Longstreth verarbeitet seinen Trennungsschmerz mit einigen niedergeschlagenen, aber doch mehrheitlich optimistischen Songs, die auf und ab fiepen und einen über Albumlänge anhaltenden Drive schaffen, der den Hörer nicht abschalten lässt. Ob die Worte „love’s gonna rot/ love’s gonna dissipate“ schon einmal so fröhlich herausgeschmettert wurden wie auf „Up in Hudson“, sollen die Pop-Historiker herausfinden – für uns bleibt somit mehr Zeit, zu Dirty Projectors durch den Großstadtdschungel zu schweben und sich von Stehaufmännchen Dave Longstreth inspirieren zu lassen.

»Dirty Projectors« von Dirty Projectors erscheint am 24.02.2017 auf Domino Recordings.