In A Poem Unlimited

BY

U.S. Girls

Release

16.02.2018

Label

4AD

Schon das 2015 erschienene Half Free, auf dem die US-amerikanische Sängerin Meghan Remy über neun Tracks aufgespannt die Schicksale von neun Frauen besang, war ein überraschendes Pot-Pourri aus Politik, Feminismus und verschroben-atonalen Beats, zu denen man sich in den frühen Morgenstunden einer durchfeierten Nacht gerne bewegt hätte. Unglücklicherweise ging das Album damals trotz guter Kritiken völlig unter, und Remy blieb vorerst die Underdog-Künstlerin, die sie seit ihrem ersten Release 2007 gewesen war.

Das soll sich mit ihrer neuen Platte hoffentlich ändern. Thematisch macht In A Poem Unlimited dort weiter, wo sie 2015 stehen geblieben war. Die Songs sind geradezu unverschämt direkt, wobei das keinesfalls abwertend zu verstehen ist: Der Zeitgeist hat gezeigt, dass man es offenbar eine Notwendigkeit ist, den Finger in die Wunde zu legen, wenn man gehört werden will. Und Meghan Remy will gehört werden, jeder ihrer Songs soll Köpfe zum Drehen und Menschen zum Aufhorchen bringen, anders lassen sich die Lyrics nicht interpretieren. Wo mancher Kunstschaffende sich in Zurückhaltung üben und die Botschaft der Songs ästhetisch verpacken würde, knallt der Song “Pearly Gates” Songzeilen darüber raus, dass Frauen wohl selbst an der Himmelspforte sexuelle Gefälligkeiten leisten müssen – darunter auch eine kurze Geschichte über die Rausziehqualitäten von Petrus, wodurch die “Pearly Gates” eine zynische Doppeldeutigkeit bekommen.

Dass dieser lyrische Mittelfinger sich an die Weinsteins und Cosbys dieser Welt richtet, dürfte noch einigermaßen dem gesellschaftlichen Konsens entsprechen, schwieriger wird da schon das Thema ihrer ersten Single “Mad As Hell” oder “M.A.H.”, wie sie einen Monat vor Release noch einmal umstilisiert wurde. Thema des Songs ist ein zuerst unwahrscheinlich erscheinender Bösewicht, nämlich der 44. Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama. “Huch!”, mag sich da mancher denken, “sind wir uns nicht eigentlich einig, dass Trump und vielleicht noch Bush junior die Cretins sind, die es zu bekämpfen gilt?”. Jein. Remy, die schon vor Jahren aus Abscheu über die Politik ihres Heimatlandes nach Kanada ausgewandert ist, stellt sich im Song wie auch im Video vor den Strahlemann, schimpft mit erhobenem Mittelfinger über seine Drohnenkriege und stilisiert ihn – und nebenbei alle anderen amerikanischen Präsidenten – als austauschbare Hüllen, die unterlegt von Schwarzweiß-Aufnahmen ihrer Kriege im Oval Office vor sich hingrinsen.

Was einerseits nicht nur ein erfrischender Abgang vom öde einseitigen Abgesang auf Donald Trump ist, erweist sich auf den zweiten Blick auch als mutiger Schritt dahin, wo es wirklich weh tut. Denn selbst wenn jeder vernünftige Mensch nach kurzer Selbstreflexion zum Schluss kommen würde, dass a) von einem Drohnenschlag zerrissen zu werden sicher zu den unangenehmeren Formen des Ablebens gehört und b) von Obamas Präsidentschaft außer einem guten Gefühl nicht viel bleibt, spielt der Song dem Trumpschen Neoisolationismus und den obamahassenden Krakeelern ordentlich in die Karten. Naja, zum Glück hören die alle 3 Doors Down.

Aber weg von den Lyrics und hin zur Musik. Solch gedankenschwere Texte wären selbstverständlich schwierig auszuhalten, wenn die Chemie ansonsten nicht stimmen würde. Darum wohl hat Remy auf ihrem Album eine Armee von Kollaborierenden aufgefahren, ganz im Gegensatz zu ihren vorherigen fünf Alben, die größtenteils in völliger Eigenregie entstanden. Zu den Helfenden gehören unter anderem ihr Ehemann Max Turnbull alias Slim Twig, der Fucked Up-Gitarrist Ben Cook und mein ganz persönliches Highlight, das kanadische Folksternchen Basia Bulat.
Als Resultat swingt die Musik untermalt von samtenen Synths und blubbernden Lasergeräuschen, stampft zu Bläsern, Streichern und Bongogeräuschen und schmeichelt dem Ohr auf komische Art und Weise selbst im kurzen Interlude “Traviata”, in dem sich Remy wie eine mit den Augenlidern flatternde Hollywood-Diva anhört. Ohnehin ist es spannend, sich auf den Klang ihrer Stimme zu fokussieren, die von sich Track zu Track an die Instrumentierung anschmiegt und zwischen quietschig und kristallklar oszilliert. Gut möglich, dass Klänge wie “Time” demnächst auch zur besten Partyzeit auf ausgewählten Tanzflächen des Erdballs laufen.

In A Poem Unlimited ist eine wilde Mischung aus Protestsongs, die sich trotz ihrer Heterogenität im Albumkontext überraschend gut zusammenfügen und als einzelne Songs zum Besten gehören, was dieses Jahr bisher erschienen ist. Dieses uferlose Gedicht, das Remy hier geschaffen hat, eignet sich nicht nur für den Privatgebrauch, sondern sorgt auch beim politischen Lesezirkel, intellektuellem Tanztee oder bei den nächsten konspirativen Treffen zur Planung des Weltumsturzes für die angemessene Stimmung.