Ordinary Corrupt Human Love, angelehnt an einen Satz aus dem Graham Greene-Roman “Das Ende der Affäre”, heißt das neue Album der kalifornischen Metal-Band Deafheaven. Es geht, wie der Titel schon suggeriert, also erneut – und wie so oft – ums große Ganze. Zum Glück verzichten Deafheaven auf Platitüden und beginnen gleich den ersten Song “You Without End” mit einem Spoken-Word-Teil, dessen romantische Bildsprache ebenso umwerfend ist wie der Umstand, dass man plötzlich Deafheaven-Lyrics ohne das beiliegende Booklet verstehen kann.

Doch das charakteristische Screamen darf vorest im Song nicht völlig fehlen – Musikfreunde, die sich (trotz der überschwänglich gelobten drei Vorgängeralben!) bisher noch nicht so weit in die Untiefen des Metal gewagt haben, müssen zum Weiterhören jetzt nur dem Drang widerstehen, Clarke ein Hustenbonbon anzubieten und stellen sich einfach vor, es handele sich bei seiner Stimme um ein wild im Song marodierendes Distortionpedal. (Für das “cleane” Deafheaven-Erlebnis müsste man sich noch bis zu den Tracks “Near” oder alternativ “Night People” vorhören, der dank des Gastbeitrages von Chelsea Wolfe erstmals komplett ohne das Gurgeln von George Clarke auskommt.)

Richtig zur Sache geht es von da an in den Songs “Honeycomb”, “Canary Yellow” und “Glint”, die allesamt die Zehn-Minuten-Marke knacken und an rhythmischen Raffinessen, Gitarrensolos und Gefühl kaum zu übertreffen sind. Man merkt den Songs an, dass sich ihr Protagonist in einem Zustand der Haltlosigkeit befindet, einer unerfüllten aber in Reichweite scheinenden Sehnsucht nach Geborgenheit, die sich aus dem Wechsel der melancholischen ruhigen und stürmischen lauten Teile ablesen lässt. Doch selbst in den lauten, chorushaften Gitarrenriffs gegen Ende von “Canary Yellow” kann man eine sanfte Schwermütigkeit heraushören, die den Hörer umstreicht, aber nicht gänzlich übermannt.

Zu dieser Stimmung passend ist Ordinary Corrupt Human Love sehr melodisch geraten. Wir einigen uns auf den Kompromisssatz “Es ist etwas zugänglicher geworden”, wobei die Bezeichnung “Pop”, die einige Rezensenten bereits übermütig in ihre Texte warfen wie sonst nur Verliebte das Salz in das Essen für ihre Angebeteten, natürlich völliger Unsinn ist. “Blackgaze”, also eine Mischung aus Black Metal und Shoegaze, wäre hier wohl ein geeignetes Label, sofern es je eins gab. Doch allein dass man den meisten Menschen dieser Welt diese Begriffe weiter erklären müsste, zeigt schon, wie weit wir, liebe Lesenden, im Subkulturdschungel vorgedrungen sind.

Rant: Hasser, die sich als “echte Metaler” bezeichnen, werfen der Band bereits seit dem ikonischen rosa Album Sunbather vor, nicht den Wurzeln und Traditionen ihres Genres treu zu bleiben und sowieso ganz, ganz schlimme Poser zu sein — auch dieses Mal werden sich wieder in den Kommentarspalten dieses Internets abarbeiten. Dabei würde Deafheaven, wie so oft wenn man sich kreative Hintertüren offen halten will, am liebsten gar kein Genre bedienen. Man spielt eben, was gut klingt und ein gutes Gefühl hinterlässt.

Dass letzteres doch keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt ihre jüngere Bandgeschichte um das düstere letzte Album New Bermuda. Die depressive, von sehr wenigen guten Gefühlen geprägte Attitüde der Platte war durch die psychischen Probleme und Drogenexzesse während des Tourens zustande gekommen, und der Zustand der Bandmitglieder ließ eine Auflösung der Gruppe in den Bereich des Möglichen rücken. Erst spät, nachdem die Ereignisse dieser Zeit aufgerollt und überwunden waren, besann man sich auf die eigene Gesundheit und die eigentliche gemeinsame Sache: Laut Sänger Clarke ist der Klang von Ordinary Corrupt Human Love nun wieder “the sound of people enjoying what they’re doing”. Insofern sollte man diese Entwicklung auch am Klangresultat bewerten und nicht an der vermeintlichen Authentizität, Rant Ende.

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Ob Deafheaven ihre innere Mitte gänzlich gefunden haben oder diese Frage wie beim oben erwähnten Protagonisten unbeantwortet bleibt – die Bandkrise ist überwunden und man geht wieder auf Tour. Solltet ihr das Bedürfnis haben, in eurer anatomischen inneren Mitte etwas zu verspüren, können wir euch dazu passende Freikarten anbieten: Wir verlosen zwei Tickets für das Konzert von Deafheaven am Samstag den 14. September im Beatpol. Schickt uns dazu euren vollen Namen per E-Mail an gluecksfee@campusradiodresden.de, Betreff: Hustenbonbon. Viel Erfolg!