Wer Natalie Mering auf Instagram folgt, dürfte sich zur Zeit sehr über die pointierten Posts & Stories zu ihrer Tournee freuen. Darin packt sie ihr Roadie wahlweise aus einer Instrumentenbox aus und sie ruft “I’m ready to sing” oder sie nennt ihren Keyboardspieler den “King of the NORD” – die wohl großartigste Synthie/GOT-Pointe aller Zeiten. Da ich auch gerne Spaß habe und zudem gespannt auf die Live-Umsetzung unseres Album des Monats war, war ein Besuch ihres Konzerts in der Kantine am Berghain in Berlin Pflicht.

Zum Auftakt des Abends durfte man sich nunmehr zum zweiten Male innerhalb eines Jahres in der Kantine über den Opener Discovery Zone freuen, ein Nebenprojekt der Fenster-Bassistin JJ Weihl. Neben den abermals beeindruckenden Theremin-Skills klangen die Songs live noch tighter und konkreter als noch letztes Jahr und man merkte, dass am Sound nochmal ordentlich geschraubt wurde, was sicherlich mit dem kürzlichen Erscheinen ihrer ersten Single “Fall Apart” zusammenhängt. Ansonsten dominierten in den Songs stimmungsvolle Synthies und Weihls autotuneverzerrte Stimme, die im Publikum kein Auge trocken ließ. Spätestens mit dem Cover des gruseligen “Eraserhead”-Soundtracks “In Heaven” war ihr die Aufmerksamkeit des versammelten Szenepublikums sicher und unter Applaus wurde nach etwa einer halben Stunde die Bühne für Weyes Blood geräumt.

Die eröffnete ihr Set wortlos mit dem Opener des neuen Albums Titanic Rising, “A Lot’s Gonna Change”, und ging im Anschluss sofort in “Something to Believe” über. Wer da schon befürchtete, es würde eines dieser Konzerte werden, in denen sich hastig durch ein 45-minütiges Set georgelt wird, wurde zum Glück schnell danach eines besseren belehrt. Bestens gelaunt begrüßte Natalie Mering schließlich das versammelte Publikum in der ausverkauften Kantine, bedankte sich, dass man für sie eine Auszeit vom sich nebenan langsam füllenden Berghain nähme und tanzte sich ausgelassen durch ihren dritten Song “Everyday”. Sie selbst sei für das Berghain leider zu weiß gekleidet, merkte jemand im Publikum in einer der zahlreichen folgenden Gesprächspausen an, aber “ihr Charakter sei dort drin sowieso nicht gefragt” kam als schlagfertige Antwort von der Bühne zurück. Auch die Frage, ob man all die erfolglosen Künstler Los Angeles’ nicht nach Berlin in die niedrigeren Mieten schicken könne wurde mit dem Publikum diskutiert, hier regte sich jedoch lautstarker Protest seitens der Zuhörer. In Anbetracht dessen, dass etwa drei Viertel der Anwesenden amerikanische Expats waren, darf das mindestens als scheinheilig bezeichnet werden.

Der guten Laune tat das – Gott sei Dank – keinen Abbruch und besonders als nach vier Songs vom neuen Album endlich ein alter Hit gespielt wurde, steppte in der Kantine der Musik entsprechend der Bär. Perfekter Sound, exzellente Musiker und die wunderschönen Songs gingen dem Publikum wie Öl die Kehle herunter, und es ist anzunehmen dass während Highlights wie “Movies” kein Auge von Tränen unverschleiert blieb. Apropos Gott sei Dank: Ein wunderbares Cover des Beach Boys-Klassikers “God Only Knows” veranlasste Mering zur x-ten Publikumsfrage des Abends (“I’m just gonna ask you one question”), wer denn von den Anwesenden an Gott glaube. Wenig überraschend hoben sich nur wenige Hände, was Mering zu ein paar ironischen “godless audience”-Zischern veranlasste. “God Only Knows” wurde trotzdem gut aufgenommen, schade nur, dass darauf nicht sofort ein Cover von “Highway to Hell” folgte. Mit der engelsgleichen Stimme, die alle Weyes Blood-Songs in kleine Tearjerker verwandelt, hätte auch das sicherlich gut geklungen. Mit einer total unvorhersehbaren Zugabe (“wir hätten gar nicht gedacht dass ihr so lange klatscht”) und dem Deep Cut “Bad Magic” endete das Konzert emotional und alle konnten gerührt und zugleich vergnügt nach Hause, ins Berghain oder ein anderes Berliner Etablissement gehen.

Dieser Bericht des Samstag Abends soll nun dir, lieber Leser, als erhobener Zeigefinger dienen und als Erinnerung, welche Perle dir mit Weyes Blood möglicherweise zu entgehen droht. Wenige Konzerte klingen erfahrungsgemäß so perfekt abgemischt wie es dieses Konzert tat, und wenige Sänger_innen können so anspruchsvolle Gesangsstücke live so gut wiedergeben wie Natalie Mering. Auf weitere Deutschlandkonzerte während ihrer für den Herbst geteasten zweiten Tour wird hier beim Campusradio jedenfalls sehnsüchtig gewartet.

Setlist:
A Lot’s Gonna Change
Something to Believe
Everyday
Andromeda
Seven Words
Mirror Forever
Picture Me Better
Movies
Wild Time
God Only Knows (Beach Boys-Cover)
Do You Need My Love

encore:
Generation Why
Bad Magic