Keine Künstlerin beim Reeperbahnfestival dieses Jahr konnte annähernd die selbe Stimmung erzeugen wie die US-Amerikanerin Bedouine während ihrer Show im Imperial Theater. Während im Publikum ehrfürchtige Stille herrschte, gab Azniv Korkejian, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, von der Bühne Eindrücke aus ihrem Leben in Songform wieder. Mit nichts als einer Akustikgitarre und ihrer Stimme bewaffnet, füllte sie mit ihrer Musik immerhin eine Stunde, was bei nur zwei bisher veröffentlichten Alben durchaus als Leistung zu betrachten ist. Thematisch erzählen ihre Songs von universellen Thematiken, wobei weder die an unbekannte “you”s gerichtete, klassische Liebesballade, noch die Liebeserklärung an ihr Stadtviertel Echo Park sich jemals in Klischees verlieren. Vielmehr zehren sie von einer absoluten Ehrlichkeit, die Zeilen wie “Long as my rent don’t climb / I’m living in Echo Park” so wunderbar zuordenbar zum eigenen Leben machen. Den selben Song über Dresden-Neustadt, bitte.

https://youtu.be/TJLrToj-juU

Kevin Morby, der dieses Jahr ebenfalls ein neues Album veröffentlich hat, ist thematisch schon eher in anderen Gefilden unterwegs. Während seine letzte LP City Music noch ein lockeres Konzeptalbum über eine Frau war, die aus dem Fenster ihres Hochhaus-Apartments das Treiben der Stadt unter sich beobachtet und nur durch kurze religiöse Thinkpieces aus den morbyschen Gedankengängen (“Pearly Gates”) unterbrochen wurde, trägt das neue Werk den ziemlich direkten Titel Oh My God.

Herausgekommen ist aber glücklicherweise keine tumbe Aneinanderreihung von Bibelversen, sondern ein kluges und zuweilen kritisches Album über Spiritualität, in dem Morby gekonnt mit Glaubensmotiven spielt. “OMG Rock’n’Roll” thematisiert eigentlich Morbys Müdigkeit, die frohe Kunde zu verbreiten und demonstriert trotzige Ignoranz gegenüber den resultierenden Strafen, die in Form von gottgesandten Heuschreckenplagen kommt. Stattdessen rattert er als Motiv des Schreckens lieber die Opferzahlen der letzten Amokläufe in den USA herunter und stellt damit der abstrakten Glaubensfrage ein deutlich klareres Bedrohungsszenario gegenüber.

Doch auch weniger negative Songs haben auf Oh My God Platz gefunden, so handelt der Song “Hail Mary” von Morbys Freunden, deren Leben sie in die unterschiedlichsten Richtungen getragen haben und deren Geschichten er in seinen Liedern erzählt. Der Song dankt der Jungfrau Maria für das Leben (gut, ein paar seiner Protagonisten sind gestorben, aber so ist das bei Kevin Morby immer) und schraubt sich strophenweise und mit Gitarrensolos untermalt in immer ekstatischere Höhen. Für solche Geniestreiche verzeiht man ihm dann auch die ungewohnte Überladung des Albums mit etwas zu klischeehaften Gospelchören. Ebenfalls ungewohnt ist auch die restliche Instrumentierung von Oh My God, denn anstatt der altbekannten Gitarre packt Morby hier öfter mal die Orgel aus oder lässt ein Saxophon die benötigte Transzendenz aufkommen. Diese Entwicklung hat Potenzial und klingt stellenweise sogar richtig gut. Wie er allerdings diese Sounds am Sonntag alleine auf der Bühne in Leipzig umsetzen will, wirft noch Fragen auf. Vielleicht schwebt ja ein Engelschor zur Unterstützung ein.

Oh My God

BY

Kevin Morby

Release

26.04.2019

Label

Dead Oceans

Wir verlosen 2×2 Tickets für das Konzert von Kevin Morby am Sonntag, den 3. November im UT Connewitz in Leipzig. Was ihr tun müsst, um teilzunehmen? Schreibt einfach bis Freitag eine E-Mail mit eurem vollem Namen und dem Betreff “Morbyd” an gluecksfee@campusradiodresden.de und mit ein bisschen Glück seid ihr dabei. Die Gewinner werden per Mail benachrichtigt.