Die Freude war groß, als endlich das dritte Album der Band Have a Nice Life ein Releasedate hatte. Drei Alben in fast 20 Jahren Bandgeschichte – da wird das Spiel mit der Vorfreude und den Erwartungen bis zum Äußersten ausgereizt. Gleichzeitig machte mich der Promotext aber etwas stutzig. Sinngemäß: ‘Dan und Tim sind älter geworden, müssen neuen Herausforderungen gegenübertreten, wie sie Familie und Karriere in unserer Zeit mit sich bringen. Ängste, die mit dem Alter einhergehen … etc.’ Au Backe! Zählen Have a Nice Life jetzt auch zu den “erwachsen gewordenen” Bands? Zu jenen, welche den Biss verloren haben und es sich auf den Lorbeeren der ersten Erfolge bequem machen?Zweifelsohne hat der Eintritt in eine gesetztere Lebensphase Einfluss auf Schaffen und Werk eines Künstlers bzw. einer Band. Was ausgedrückt werden soll ändert sich, genau wie die Art und Weise auf die es geschieht. Was kann mir noch ein Künstler sagen, der scheinbar schon alles gesagt hat?

Sea of Worry ist ein Album, an das ich viele dieser Fragen gestellt habe und mir manche guten Antworten bieten konnte.

Aber von Anfang an:

Have A Nice Life wurden von Dan Barrett und Tim Macuga im Jahr 2000 in Middletown, Connecticut als Privatprojekt ins Leben gerufen. Ohne den Anspruch, für jemand anderen als für sich selbst Musik zu machen, sammelte die Band über Jahre Ideen und Songansätze. Labellos und mit den einfachsten Mitteln wurde das erste Album Deathconsciousness bis zum Release 2008 aufgenommen und durch ein paar Dutzend selbstgebrannter CDs verbreitet. Dieses Album vereinte Elemente aus den Bereichen Black Metal, Post-Rock, Gloom, Drone und Post-Punk zu einem düsteren Monolith der Katharsis, der sich, verbreitet durch diverse Internetforen, von einem kleinen Wohnzimmerprojekt zu einem Untergrund-Kultalbum entwickelte. Deathconsciousness erschien mit einem 70-seitigen Manifest über einen erfundenen nihilistischen Kult in der Antike um die Figur „Antiochus“. Dieses Niveau an Obskurität übertrug sich schnell auch auf die Wahrnehmung der Band.

Sechs Jahre mussten Fans warten, bis der Nachfolger The Unnatural World im Jahr 2014 erschien und die drückende Schwere und postapokalyptische Drone-Ästhetik weiterführte.

Nun, endlich, nach nicht weniger als fünf Jahren, ist das dritte Album der Band erschienen.

Was ist neu? Es gibt eine Backingband! Have A Nice Life haben jahrelang praktisch keine Konzerte gegeben. Das hat sich erst innerhalb der letzten zwei Jahre geändert. Jetzt sind die ergänzenden Livemusiker auch auf dem Album zu hören. Die Drums wurden nicht von einer Drummachine erzeugt, sondern im Studio eingetrommelt. Man spürt das zusätzliche Instrumentarium in dem organischeren Soundbild – Have A Nice Life haben zweifelsohne ihr am besten produziertes Album bis dato geliefert, ohne dabei ihre typische Lo-Fi Ästhetik aus den Augen zu verlieren.

Rythmisch up-beat startet der erste Song in Gothic Rock Manier in das Album.  Auch eine konventionelle Songstruktur (Verse, Chorus, Verse, Chorus) gab es bisher eher selten bei Have A Nice Life. Das dürfte viele überrascht haben – The Unnatural World erinnerte von der ersten Note eher an eine dronelastige Version von Chopins Funeral March.

“Dracula Bells” startet mit einer Notenabfolge wie sie Joy Division in die Post-Punk Bibel gekrakelt haben könnten. Vocals und Instrumental arbeiten hier wunderbar zusammen und erzeugen eine melancholische Grundstimmung. Gerade als diese droht ins Pathetische zu driften enden die Vocals. Die Gitarre gibt ein letztes Kreischen von sich. Und es bleiben Schlagzeug und eine dumpf-drohende Bassline zurück. Einzelne disharmonische Klaviernoten verhallen ineinander. Es mischen sich klirrende Synthies, ein übersteuernder Bass und ein immer lauter schepperndes Schlagzeug zu einer Soundlawine. Über all dem sprech-singt Sänger Dan Barrett bestimmt bis manisch „We’re going to wait a long time“, bis die anderen Instrumente die Vocals schlucken und man nur noch einzelne Wortfetzen als menschliche Stimme aus dem Gemenge herausahnt.

“Trespasser W” ist eine B-Side des ersten Albums, welche zuvor auf der Demo-Compilation Voids erschienen ist. Hier gefällt die frühere, simplere Version etwas besser. Während die vorliegende Albumversion auf fast fünf Minuten zwar konsistenter ist, dominieren die neu hinzugekommenen Instrumente und opfern die einsame Post-Punk Weltvergessenheit einem leicht anbiedernden „Pop-Rock-Wumms“.

Ambient, Drone und Post-Rock bestimmen von nun an die Gangart der zweiten Albumhälfte.

Das vierminütige Ambientinterlude “Everything We Forget” nimmt die Schnelle aus dem Hörerlebnis und neutralisiert die Erwartung, die sich nach der rocklastigen erste Hälfte gebildet hat. Wabernde Synthes erzeugen eine Atmosphäre, die an das Lesen einer düsteren H.P. Lovecraft Geschichte über ominöse, untergegangene Kulturen erinnert.

Es folgt das Highlight des Albums, “Lords of Tresserhorn”. Ebenfalls eine überarbeitete B-Side. Laut Sänger Dan Barrett handelt der Song davon zu hoffen, dass sich die Probleme als Jugendlicher und junger Erwachsener mit der Zeit lösen werden. Diese Hoffnung wird sich aber nicht von selbst erfüllen und man findet sich, anders als man dachte, wieder auf der Stelle tretend.

I can stay up late

whenever I want

and other than that

it’s nothing like I thought.“

Nur mit dem Unterschied, sich einem falschen Optimismus verpflichtet zu sehen, den Menschen von einem erwarten und der nicht hinterfragt werden will.

„I am mortgaged to

The irrational thought

That we are always on top […]

And nothing will ever go wrong“

Man ist gezwungen, stets an den Erfolg des eigenen Handelns und Weges zu glauben, andernfalls kann man nicht die Ansprüche erfüllen, die an einen gestellt werden.

“Lords of Tresserhorn” entwickelt sich über sechs Minuten von einer futuristisch-einsamen Ambient Harmonie zu einem aufreibenden Drone-Spektakel, welches an Intensität und Übersteuerung selbst “Dracula Bells” noch übertrifft.

Wie ein Komet, welcher mit zunehmendem Eindringen in die dichter werdende Atmosphäre heißer und schneller verglüht, scheppern, rauschen und kämpfen sich die Instrumente zu ihrem Crescendo, während Dan Barrett fast euphorisch „nothing could ever go wrong“ singt. Darin ähnelt der Track dem Post-Rock Juwel “Earthmover” welches der Abschluss ihres ersten Albums war.

Zuletzt auf “Destinos” hören wir einen Priester über die Hölle, die Gerichtsbarkeit des Menschen durch Gott und die Verwurzelung eines säkularisierten Weltbildes in der Gesellschaft erzählen. Immer passionierter schildert der Geistliche seine Weltsicht und Anliegen, bis das Sprachsample von einsetzenden Gitarren überschallt wird. Insgesamt 13 Minuten baut sich der Track in vorbildlicher Post-Rock Manier zu seinem Höhepunkt auf.

Hervorzuheben ist die intelligente Albumstruktur. Dass bei den zahlreichen Stilwechseln und insgesamt drei B-Sides aus unterschiedlichen Schaffensperioden kein Flickenteppich, keine Compilation sondern ein sehr gut fließendes Gesamtwerk herauskommt allem dem Arrangement der Titel und der Produktion von Joe Streeter geschuldet.

Konzeptuell beschäftigt sich Sea of Worry mit der existenziellen Angst, welche mit dem Altern und eigenen Kindern, für die zu sorgen ist, einhergeht. Bei näherer Betrachtung muss einem die Verkopftheit der Themen hinter den Texten auffallen – sowohl stilistisch, als auch inhaltlich handelt es sich hier um ein ambitioniertes Projekt – so befasst sich der Titeltrack beispielsweise mit der eigenen Teilhabe an einer pessimistischen Weltsicht. Am Ende steht die Erkenntnis, dass eigentlich Schützenswertes wie kulturelle, humanistische Werte oder die Umwelt auch dem eigenen Nihilismus zum Opfer fallen, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein. Die vielfältigen thematischen Ansätze werden von den komplexen Stilbrüchen und Stimmungsumschlägen passend widergespiegelt.

Der Wechsel von unreflektiert hartem Nihilismus und tiefer Depression der frühen Projekte zu einem Album, welches konfliktreich die eigenen Selbstbilder aufarbeitet, kommt auch mit einem Verlust von Kante einher. Die fehlenden Spitzen im Sound, die auch mal wehtun können, werden viele Fans der Band wohl nicht ohne Weiteres schlucken und sich den früheren Stil zurückwünschen.

Die konzeptuelle Reife und der stilistische Fokus zeugen davon, dass die Band an den persönlichen Talfahrten der Vergangenheit, welche Thema der ersten Releases waren, gewachsen sind. Der unscheinbare Schritt von nihilistischer Depressivität zu grüblerischer Melancholie mag erstmal weder besonders noch spektakulär wirken, ist aber für eine Band, welche auch ohne Label aufgrund ihrer Authentizität Hörer erreicht hat, ein unvermeidlicher. Ich zumindest bin froh, dass Dan und Tim nicht auch nach 15 Jahren die selbe existentielle Krise besingen. Sea of Worry ist ein authentisches Album geworden, das womöglich einige Fans verprellt, aber nicht etwas auf der Oberfläche vorgeben will, was sich nicht auch auf dem Grund befindet. Dementsprechend spiegelt das facettenreiche Konzept eine Periode im Schaffen der Band wider, die sich klar vom Abgrund der letzten Releases distanziert, ohne aber erwachsener und gefestigter scheinen zu wollen, als sie wirklich ist.