Wir drehen die Zeit in die Endzüge des 20. Jahrhunderts zurück. Drei Jungs aus San Jose, Kalifornien, Clay Parton, Canaan Dove Amber und Jason Albertini, nehmen in der Garage von Parton, die sie liebevoll das ‘‘Low Space Orbit‘‘ getauft haben, Musik auf – unter anderem ein Album mit dem Titel Stratosphere. Sie unterschreiben bei Up Records und lassen neben einer EP 2000 ihr zweites Album Contemporary Movement folgen. Bald darauf stirbt Labelchef Chris Takino, das Indepentlabel fährt ihre Produktion herunter und damit auch die Pressung der Duster-Platten. Hier könnte die Geschichte bereits enden. Denn für den eigenwilligen Sound dieser Band scheinen sich nicht so recht Abnehmer zu finden, was letztlich das Ende ihres jungen Bestehens bedeutet. Was daraufhin geschieht, mag an den alten Rodriguez erinnern. Die drei Jungs werfen sich, vielfach in Zusammenarbeit, in andere Projekte (Helvetia, Valium Aggelein, Built to Spill u.a.), während ihre alten Alben und EPs von begeisterten jungen Indie-nerds ausgegraben werden, und von einer Hand in die nächste wandern. Per Mondpropaganda schaffen es Duster so, ohne den Hauch einer Ahnung, einen gewissen Kult um sich zu scharen, bis die Platten zu lächerlich hohen Preisen gehandelt werden. Ohne das Internet und seinen Millenials wäre ihren Alben wohl das gleiche Schicksal wie dem Voyager Golden Record ereilt und sie hätten die Stratosphäre durchbrochen, um im ewigen Dunkeln der Galaxis zu verschwinden.
Langsam erreichte aber auch die Band selbst das späte Strahlen ihres Sterns, der eigentlich längst erloschen geglaubt war. Sie reagierten mit einer Compilation aller Dusterwerke, veröffentlichten und unveröffentlichten, Namens Capsule Losing Contact Anfang 2019. Dieser ließen sie einige US-Reunionshows über das Jahr hinweg folgen, bis sie im Oktober schließlich ein neues Album zum Jahresende ankündigten. Das Album des Monats Dezember stand damit fest.

Am 13. Dezember erschien nun ihr selbstbetiteltes Album, das erste seit 20 Jahren, und man bekommt das Gefühl, der Dusterstern war zwar immer da, nur hat sein Licht einfach etwas länger als sonst üblich gebraucht, um uns Unwissende zu erreichen.
Worüber aber sprechen wir überhaupt? Was machen Duster, die zwar mit Tempo 30, aber immerhin im Autopilot, solch bleibende Wirkung hinterließen und als „your favourite indie band’s favourite indie band“ betitelt werden? Stratosphere, mit dem Duster heute maßgeblich in Verbindung gesetzt werden, zeugte von einer unaussprechlichen Hoffnungslosigkeit und Entfremdung, aber gleichsam auch einem starken Drang, dieser prekären Gefühlslage der weltlichen Verlassenheit musikalische Entsprechung zu verleihen. Unaussprechlich auch deshalb, weil die schwachen, zärtlichen Stimmen von Clay Parton und Canaan Amber häufig alter Shoegaze-Manier folgend im dichten Nebel von Gitarren-Feedbacks untergehen und eher wirken, wie angedeutete Sendungen aus dem All. Selbst in trägeren Songs, wie „Topical Solution“ oder „The Landing“ ist die Stimme aller höchstens Begleitinstrument und ordnet sich den „reoccuring constellations“ unter. Dank dieser Songs wird Duster auch vielfach das Slowcore Label (neben allerhand weiterer) angeheftet. Doch nach eigener Aussage haben sie große Freude am Experimentieren, was in diesem Nicht-von-dieser-Welt-Klang mündet und sich etwa in „Echo, Bravo“, einem der wuchtigsten und Post-rockigsten Stücke, oder dem Titeltrack, der ohne die eintönigen Drums wie eine einzige Frequenzverschiebung anmuten würde und einen fast desillusioniert zurücklässt, niederschlägt. Geschuldet ist dies aber vielfach auch ihrer auf geklauten Kassetten durchgeführten LoFi-Produktion, die Stratosphere maßgeblich auszeichnet.

Seither sind über 20 Jahre vergangen und nach der all der Zeit waren die Erwartungen groß, denn die Liste der Bands, die Duster beeinflusst haben, ist lang: (Sandy) Alex G, American Pleasure Club, Girlpool, Hovvdy und Ovlov um ein paar zu nennen und demnach hatte man Sorge, Duster könnte mittlerweile einfach wie eine von vielen Bands klingen. In einem VICE-Interview 2018 sagte Clay Parton wenig überraschend: „We didn’t feel like we belonged in this world before“ und konstatierte „And the world is only an even bleaker hellscape now“. Wie klingt Dusters selbstbetitelte „Experimental depressive music“ also im Jahre 2019?
Ab der ersten Note von „Copernicus Crater“ wird klar, dass dieser dystopischen Gefühlswelt auch weiterhin musikalisch Rechnung getragen wird. An ihrer Produktionsform hat sich wenig verändert, einzig, dass die Kassetten nicht mehr geklaut, sondern auf Ebay gekauft werden mussten, wie sie verrieten. Auch ihr sonstiges Equipment ist nur marginal ein anderes und dementsprechend lebt der Dustersound weiter: effektgeladene Gitarren, die teilweise bis zur Unkenntlichkeit gepitcht sind und mit wenigen Akkorden auskommen, ein Gesang, der im Hintergrund durchschimmert und mit lethargischem Desinteresse vorgetragen wird, ebenso ein Schlagzeug, dass vielfach auch weiterhin in monotonen Taktfolgen die Songs irgendwie zusammenhält. Eine Stimmung, die sich wie ein trüber Nebel um einen wölbt und alles erst einmal nebensächlich erscheinen lässt.

Aber natürlich war es nicht Dusters Ziel, hier ein zweites Stratosphere zu schaffen. Von Anfang an merkt man, dass wir es hier weitestgehend mit ‘‘richtigen‘‘ Songs zu tun haben, die tatsächlich auch von Menschen gemacht wurden und nicht mehr ganz so intergalaktisch daherkommen. Das soll nicht zwangsläufig heißen, dass den mittlerweile betagteren Herren aus San Jose ihre Experimentierfreude abhanden gekommen ist, aber es ergibt sich dennoch ein geschlosseneres, ein reiferes Soundbild, wie es sich bereits auf Contemporary Movement von 2000 abzeichnete. Die Reife drückt sich hier aber nicht unbedingt darin aus, die jugendlichen Ängste hinter sich gelassen zu haben und im Zuge eines gesettleten Lebens Sinn gefunden zu haben – ganz im Gegenteil: die Ängste, Befürchtungen und pessimistischen Zukunftsszenarien werden nun akzeptiert. Es mag einem vielfach einer Resignation gleichkommen, wenn beispielsweise im warmen drone-geladenen „Summer War“ der (vermutlich menschengemachte) Weltuntergang besungen wird:

The summer war is upon us now
We’ll have to take our things and go All the heavens falling down tonight

Das irdische Leben scheint ein verdammtes zu sein und nur das Jenseits kann Hoffnung bereithalten.
In „Lomo“, das einen seltenen Einsatz von Akustikgitarre bereithält, wird es dann ganz explizit:

Is this death?
Maybe
It’s alright

Dem Gesang wird, so überdeckt er von Soundnebel auch zuweilen sein mag, generell eine höhere Bedeutung beigemessen. Zwar werden zuweilen wie in „I’m Lost“ die selben Sätze wieder und wieder wiederholt, aber erwähntes „Summer War“, „Chocolate and Mint“ (beide auch in unserer Sendung zu hören) oder „Ghoulish“ gleichen sprachlich beinahe expressionistischen Gedichten. Die ‘‘Sprachlast‘‘ wird augenscheinlich, wenn etwa zur Mitte des Albums „Damaged“ ertönt, dem wohl experimentellsten Lied des ganzen Albums, in dem aus Gitarren/ Bass, Drumcomputer und
Synthesizer eine ‘‘Wall of Sound‘‘ aufgezogen wird, während Becken und Snare unaufhörlich poltern. Denn „Damaged“ ist tatsächlich das einzige Lied, das ohne Gesang auskommt, wenngleich es technisch wohl auch schwierig hätte werden können, hier noch eine Stimme unterzubringen.

Der LoFi-Produktion ist es allerdings wohl auch geschuldet, wenn man wie in „Go Back“ die Kopfhörer reflexartig seines Hauptes entziehen muss, weil man andernfalls Hörschädigungen 3. Grades zu erwarten hätte. Auch hier findet wir zwar wieder die seit My bloody Valentine so heiß geliebte ‘‘Wall of Sound‘‘, doch steigen die Frequenzen zuweilen in solche Höhen, dass es mehr wie ein Tatbestand à la Unfall mit Fahrerflucht anmutet.

Duster, früher und heute, erschließen sich nicht unbedingt direkt. Beim erstmaligen Hören, so erging es mir zumindest, empfand ich es als zu eintönig, zu phlegmatisch, mit zu wenigen Höhepunkten. Sobald ich aber einmal in einer ‘‘Duster-Stimmung‘‘ war und durch glückliche Fügung Duster hörte, konnte ich schwer davon wegkommen. Duster machen depressive Musik, ja, und auch, dass diese Herren nach all der Zeit immer noch depressive Musik machen, lässt einen an einigem zweifeln, aber sie erscheinen einem dabei zu keinem Zeitpunkt edgy und säuseln einem (bis auf wenige Ausnahmen) auch nicht aufdringlich die Ohren voll. Ihre Gefühlswelt wird nach wie vor so authentisch auf die Tonleiter übertragen, dass man meinen könnte, sie hätten sich glatt mit ihren Verstärkern verkabelt.

Duster im Jahre 2019 klingen nach etwas zwischen Stratosphere und Contemporary Movement. Die einzigartigen Stimmungen von 1998 sind auch in Duster wieder gelungen umgesetzt, während die zuweilen naive Verspieltheit in eine gefestigte Struktur übergegangen ist, der die experimentelle Würze aber nicht entwichen ist. Wer die Band noch nicht kennt, dem wäre am ehesten dieses Album nahegelegt, bevor man sich an den Leckerbissen früherer Tage zu schaffen macht, da es sich zwar zugänglicher zeigt, aber immer noch unverkennbar Duster ist. Man kann sie ebenso gut nebenbei, wie hoch konzentriert hören und man bekäme sein Fett weg. Am besten aber nach misslungenem Drittversuch. Einfach was für jeden, jetzt bestellen!