Es ist ein Geschichtslehrer, der an diesem Abend zu mehreren tausend Anhängern der Pegida-Bewegung spricht. Vor der Frauenkirche in Dresden weckt das dunkle Erinnerungen. Der Beruf des Lehrers hat in jeder Kultur einen besonders hohen Stellenwert. Lehrer können das beste Vorbild sein. Oder dem Kind eine Vorstellung davon geben, wie es auf keinen Fall werden möchte.

In der Bundesrepublik sind jene, die das Fach Geschichte unterrichten, wohl die wichtigsten Lehrer. Deutschlands Erinnerungskultur, aus der ganze Generationen eine „Nie wieder“-Haltung ableiten konnten, wirkte lange wie eine Impfung. Nahezu jede westlich verfasste Demokratie war mit teils spektakulären Erfolgen antidemokratischer und rechtsextremer Parteien konfrontiert. Deutschland blieb davon weitgehend verschont. Die Republikaner, die DVU, die NPD erledigten sich immer irgendwie selbst. Zu deutlich war die gesamtgesellschaftliche Ächtung, die einer auch nur entfernt nazi-ähnlichen Aussage folgte. Grundlage dieser Haltung, war das Wissen um den Nationalsozialismus und dessen katastrophale Folgen für die Menschheit. Dieses Wissen wurde von Geschichtslehrenden übermittelt. Doch der Impfstoff wirkt nicht mehr. Deutschland krankt an der Vergangenheit.

Der AfD ist es gelungen, den Grundkonsens der Republik aufzuweichen: dass es rechts neben der Union keine legitime Partei geben darf. Die AfD sitzt inzwischen in allen Landesparlamenten und im Bundestag. Seit neustem kann sie sich sogar mit der Wahl eines Ministerpräsidenten brüsten. Die AfD hat den Coup von Erfurt eingefädelt, bei dem FDP und CDU bereit waren, mit der Höcke-AfD den Vertreter einer 5-Prozent-Partei zum Regierungschef zu wählen. Dieser Tabubruch, der eine Lawine an Grundsatzdebatten, kläglichen Talkshowauftritten und Rücktritten nach sich zog, traf viele wie ein Blitz.

Die meisten werden wohl gewusst haben, dass es sich eher um ein Wann als um ein Ob gehandelt hat. Zur Zeit ihrer Gründung 2013 war Bernd Lucke, ein Wirtschafts-Professor, das wichtigste Gesicht der AfD. Sicher gab es auch bei ihn von Anfang an rechtsgerichtete Versatzstücke einer Ideologie. Doch Lucke ist eher einer, der die Polizei ruft, wenn einer sonntags Rasen mäht, als jemand, der Ausländer verteufelt.

In den mittlerweile sieben Jahren ihrer Existenz hat sich die Partei aber sukzessive nach rechts verschoben. Inzwischen wird ganz ungeniert mit Wörtern wie „völkisch“ hantiert. Selbst der Schusswaffengebrauch gegen Frauen und Kinder wurde schon erwogen. Die AfD hat auf ihrem Weg zum Eklat, jedes sprachliche oder demokratische Tabu gebrochen. Doch Erfurt hat die Brandmauer eingerissen – dass eine rechtsextreme Partei nie wieder an die Macht kommen oder sie auch nur verteilen darf.

Zurück zum Geschichtslehrer bei Pegida. Vor der Frauenkirche war es voll. Sehr voll sogar. Sicher, Pegida besteht nach wie vor aus überwiegend alten Männern, die jetzt oder demnächst der Kategorie Letztwähler angehören dürften. Doch die Jugend, gerade in Ostdeutschland, ist alles andere als angewidert von der AfD und der Pegida-Bewegung. Etwa in Thüringen: die AfD ist mit 28 Prozent stärkste Kraft unter den 18- bis 29-jährigen Wählern bei der Landtagswahl gewesen. Bei den über 60-jährigen wählten nur 16 Prozent die AfD. Diese Zahlen unterstützen die These, dass die „Nie wieder“-Haltung bröckelt. Das schlimme ist: es liegt nicht daran, dass die Alten ihre Meinung ändern. Viele Jungwähler sehen „Nie wieder“ offenbar nicht mehr als unumstößlich an.

Wir, also die Menschen, die noch davon überzeugt sind, dass „nie wieder“ eine gute Handlungsmaxime ist, müssen uns also etwas überlegen, um es wieder in die Köpfe der Jugendlichen zu kriegen. Auf Geschichtslehrer wie Bernd können wir uns Zukunft wohl nicht mehr verlassen.

Redaktion: Robert C. Saar