“To make climate change fun” – kalkulierte Provokation steckte in der Donald Trump-Rhetorik, die Claire Boucher, besser bekannt als Grimes, vor der Veröffentlichung ihres neuesten Werkes zum besten gab. Mit Miss Anthropocene (Anthropocene ist ein Neologismus für die jetzige Epoche, in der der Mensch maßgeblich über den Wandel der Erde bestimmt, auch das Wort Misanthrop hat sich in den Albumtitel geschlichen) beschwört ebenjene nun eine Art Dämonin des Klimawandels herauf, die ein Album lang verschiedene mehr oder weniger apokalyptische Tragödien der Menschheit durchdekliniert. So zumindest das lose Konzept – wirklich stringent durchgezogen wird dieses nicht, vielmehr verbirgt sich unter dem pompösen Überbau ein durchaus persönliches Album, mit der titelgebenden Heldin verarbeitet Grimes unter anderem die mediale Ungnade, in welche sie seit Bekanntgebung der Beziehung zwischen ihr und Silicon-Valley Turbokapitalist Elon Musk gefallen ist.
Musikalisch ist dies wohl das beste in Grimes Diskographie. Wunderschön düster kommt Miss Anthropocene daher, die Produktion schießt die Messlatte für dieses Jahr in astrologische Höhen. Der düstere Raversound Grimes erster Alben geht hier eine Ehe mit dem poppigen Mainstream-Klang des 2015 erschienenen Vorgängers Art Angels ein – herausgekommen ist ein an jeder Stelle klirrendes und unheilvoll waberndes Klangkonstrukt, über das sich Grimes Stimme mal anklagend schreiend, dann wieder infantil flüsternd legt.
Düster geht es vor allem textlich zu: die anfangs erwähnte Klimawandel-Thematik sollte nicht an allen Stellen ernst genommen werden, doch sind Bouchers dunkle Dämonen aus jeder Pore des Albums zu spüren. Auf “Delete Forever” zum Beispiel besingt sie die amerikanische Opioid-Crisis, an welche sie einige Freunde verloren hat (der Song wurde übrigens in der Nacht von Lil Peeps Tod geschrieben), dazu erklingen Grimes-untypische Country-Gitarren, das Stück wirkt fast ein wenig wie der Anfang eines merkwürdig aus den Fugen geratenen Disney Films.
“Funny how they think, us not even on the brink
Innocence was fleeting like a season
Cannot comprehend, lost so many men
Lately, all the ghosts turned into reasons and excuses”
Glasklar trieft zudem der Nihilismus aus den Wörtern, die Grimes auf Miss Anthropocene singt. Die Welt geht den Bach runter, doch das ist ja eh egal, so wirkt es zumindest manchmal (an einigen Stellen wird es sogar explizit erwähnt, siehe unten in “My Name Is Dark”). Sympathisch muss man das nicht finden, und gerade im Gedanken an Boucher im Gespann mit Elon Musk, der ja für eine ähnlich technophile, posthumane Einstellung bekannt wird (UND BESTIMMT SCHON DEN AUSTAUSCH UNSER ALLER GEGEN TESLAMASCHINEN AUSHECKEN), darf man auch gerne mal mit der Stirn runzeln – schließlich sind Grimes und Musk selbstverständlich nicht diejenigen, die (in naher Zukunft) von den Auswüchsen des Klimawandels betroffen sind.
“So we party when the sun goes low
Imminent annihilation sounds so dope”
Und so ist es nicht erstaunlich, dass so einige Musikzeitschriften hierzulande Miss Anthropocene kritisch gegenüberstehen. In unserer Sendung hört ihr, warum das Album für uns dennoch das Werk des Monats ist (Spoiler: es hat etwas mit der Musik zu tun).