„We are not a fucking punk band” betont Joe Talbot immer wieder, was selbst schon eine Provokation und Absage an Konventionen – und damit ziemlich “punk” ist. Ob Punk oder einfach nur wütende Musik, Idles konnten mit ihrem Rezept große Erfolge und einen steilen Aufstieg verzeichnen: Nach ihrem 2017er Debut Brutalism wurden sie bereits als eine der heißesten Bands der Insel gehandelt. Mit dem grandiosen Nachfolger Joy as an Act of Resistance konnten sie ihre Bekanntschaft noch vergrößern. Touren sind zuverlässig ausverkauft und die Verehrung der Fans erinnert eher an die Fanliebe zu Popstars, als an den einfachen Support für knarzige Punk-Rocker.
Man sagt, das dritte Album sei das schwerste. Können es Idles schaffen, alte und neue Fans gleichermaßen zufriedenzustellen und trotz ihres Erfolgs authentisch, catchy und dreckig zu bleiben?

Ultra Mono geht den Weg der großartigen Vorgänger weiter und ist dabei das beste logische Resultat, das aus Ihnen folgen könnte. Der neue Langspieler ist genau so detailreich und ausgefeilt wie Joy as an Act of Resistance, wirkt aber noch destillierter: Das was Idles wollen ist auf Ultra Mono par excellence verwirklicht. Wenn sich Idles auch nicht neu erfunden haben, bietet das neue Album dennoch viele Überraschungen. So hat zum Beispiel Hip-Hop Produzent Kenny Beats, der sich bereits durch Kollaborationen mit Denzel Curry oder slowthai einen Namen gemacht hat, auf „Grounds“ mitgewirkt. Die Single Auskopplung ist eines der Highlights des Albums und zeigt mit seinem erfrischenden Industrial Einfluss und Delay-Effekten neue Facetten der Band. Der Opener „War“ wirkt wie eine Antwort auf die leise Furcht früherer Fans, die Band könnte durch den schnellen Ruhm ihre Härte und Roughness für einen massentauglicheren Sound aufgegeben haben: Kein langer Aufbau, ohne zu zetern schmettern die Gitarren mit aller Brachialität los und lassen einen der kompromisslosesten Noise Parts der Bandkarriere folgen. Das Stück ist das lauteste des Albums und strategisch klug gesetzt, um Ultra Mono mit einem Knall beginnen zu lassen. Das soll allerdings nicht heißen, dass von hier an ruhige Fahrt angesagt sei. Ob auf dem, an Brutalism erinnernden, Schrammelhit “Anxiety” oder dem explosiven „Ne Touche Pas Moir“ (eigentlich natürlich “ne me touche pas”. Der Grammatikfehler wurde absichtlich im Titel gelassen, da es so “ehrlicher klinge”) – Idles zeigen, dass sie es noch dreckig können.

Bei aller Rohheit und Experimentierfreude spürt man auf Ultra Mono durchaus die Übung im Umgang mit der eigenen Vision: Das neue Album ist das am besten produzierte der Band bisher, ohne aber eben die Knattergeräusche einzubüßen, die einst authentischer Rockmusik oft genug mit einer teureren Produktion abhanden kommen.
Genauso fällt die Fransenlosigkeit des Songwritings auf. Die 42 Minuten des Albums vergehen schnell und kommen ohne größere Längen aus. Wo experimentiert wurde, wurde stets mit Bedacht auf die Wirkung vorgegangen.

 

Was Idles unter anderem großgemacht hat, war ihre Haltung. Gegenüber den Problemen der Arbeiterklasse, Toxic Masculinity, den Tories, aber auch gegenüber der Spielweise der alten Punk-Antagonismen. An die Stelle rotziger Ablehnung und Kampfansagen gegen dieses und jenes wurde die Proklamation von self-love gesetzt. Ich erinnere mich noch an ein Konzert im Jahr 2018, als ein Zuschauer nach einem Song „Fuck the Tories“ rief, woraufhin ihn der Frontmann, Joe Talbot, mit den Worten ermahnte „No, don’t fuck the tories, love the tories, because they are dumb and don’t know what they are doing”. Was geradezu wie eine Anbahnung christlicher Nächstenliebe klingt, zeigt paradoxerweise gut wofür Idles stehen. Sie wollen keinen weiteren Hass stiften, sondern dazu ermutigen, aufeinander zuzugehen. Auf „Grounds“ singt Talbot:

Nothing has ever been mended, by you standing there and saying you’re offended

Hier sprechen Idles die zunehmende Spaltung der Gesellschaft an, die sie selbst nicht weiter vorantreiben wollen.
Am plakativsten bringt es der Titel „Kill Them With Kindness“ auf den Punkt. Nichtsdestotrotz wird natürlich eine klare Stellung bezogen und die Bösen sind noch immer die Bösen („Them“) – die Werkzeuge in diesem Kampf sollen aber andere sein.
Die Paradoxie, die sich im Songtitel zeigt, spiegelt sich auch im Auftreten des Frontmannes wider: Auf der Bühne mit dem aggressiven Auftreten eines Mannes, der im nächsten Moment einem Rentner den Rollator kaputttreten könnte. In Interviews dagegen spricht er von seiner Mindfullnesstherapie und innerem Gleichgewicht wie ein sedierter Yogalehrer.
Beides in Kombination – die Aggression als Vehikel – funktioniert auf Ultra Mono noch immer, wenn es inhaltlich auch  plakativer zugeht, als es früher der Fall war („I raise my pink fist, and say black is beautiful“, „grab Trump by the pussy“)

Ultra Mono schafft den für unmöglich gehaltenen Trick, den schon Joy as an Act of Resistance geschafft hat: das Album nach dem grandiosen Vorgänger zu sein. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Ultra Mono eines der am heißest erwarteten Alben des Jahres ist. Die Erwartungen von Fans und Kritik waren alles andere als klein. Der allgemeinen Erfahrung und Logik entsprechend, nach der jede Band im Laufe der Zeit ihren Hunger verlieren und uninteressant werden muss, dürfte dieses Album nicht so hervorragend sein wie es ist. Idles haben auf Ultra Mono ihre Härte nicht verloren und sind der Perfektion ihrer Symbiose von Aggression, Ohrwurmqualität und Tanzbarkeit noch näher gekommen. Nachdem Idles nun ihren Trademark Sound perfektioniert und mit diesem Album auf die Spitze getrieben haben, bleibt eigentlich nur die Frage, was danach kommen soll. Darauf kann man in zwei Jahren gespannt sein, für den Moment bleibt zu sagen: So ambitioniert klingt Punk Musik im Jahr 2020.