Habt ihr schon mal von Transhumanismus gehört, von der (ethisch nicht ganz luprenreinen) Idee der Überschreitung menschlicher naturgegebener Grenzen mithilfe technischer Neuerungen? Einer der öffentlichen Protagonisten, FM-2030, beschrieb diese, womöglich letzte, Utopie mit den Worten:

“2030 werden wir alterslos sein und jeder wird eine exzellente Chance haben, ewig leben zu können. 2030 ist ein Traum und ein Ziel.“

Da er bereits 2000 verstarb, zu früh für ein ewiges Leben, konnte er nicht mehr miterleben, dass Traum und Ziel von Unsterblichkeit (wozu nochmal?) genauso wahrscheinlich wie das 1,5-Gradziel zu erreichen sein dürften.

In den 80er und 90er Jahren beschäftigte sich die US-Fernsehsendung “Breakthroughs: Transcentury Update” mit dieser und weiteren futuristischen Themen, die damals en vogue waren. Natasha Vita-More lud sich in jeder Sendung Gäste zu Fragen der K.I., des Biohackings oder eben des Transhumanismus ein, zu der genannter FM-2030 geladen wurde. Nun ahnt ihr bereits, dass diese Sendung und das Festival in Leipzig zumindest namentlich verbunden sind. Aber natürlich ist der Name nicht willkürlich gewählt, sondern verfolgt auch die Idee, etwas begrenzendes zu überschreiten. Seit 2016 macht sich das Clubfestival im Süden der Stadt einen Namen als Schmelztiegel von spannender, originärer, aber auch eher randständiger Musik unterschiedlichster Couleur und Stilrichtung, vielleicht auch als ein Gegenpol zu den größeren Sauffestivals der deutschen Kulturlandschaft.

Wir wollen mit dem Festival eine Art musikalisches Update geben und denen eine Bühne geben, die sie vielleicht seltener bekommen als andere. Wir verfolgen dabei keinen elitären Gedanken, wir wollen Mensch und Musik an einem Ort versammeln und zusammen über den Tellerrand schauen. – Christian Kühr (Booking)

Durchforstet man die Line-Ups der letzten Jahre trifft man auf solche Namen, die zumindest in vielen Musik-Bubbles Gehör finden wie Beak> (“You don’t like the music, ’cause it ain’t up on the radio”), Cate Le Bon, Unknown Mortal Orchestra oder Kikagaku Moyo neben Namen für deren Kenntnis man schon ausgewiesener Musik-Nerd sein muss. Nachdem das Festival die letzten zwei Jahre erneut mit einem Aufgebot aufwarten konnte, das in seiner Zusammenstellung deutschlandweit eher eine Seltenheit darstellt und ihre Absagen beide Male quasi in letzter Sekunde Monate der Planung überflüssig machten, dürfen wir uns als Freunde der feinschmeckenden Klang-Delikatessen (und manchen, die vielleicht erst im Abgang oder in passender Zusammenstellung ihr Aroma entfalten) endlich wieder auf eine säuberlichst kuratierte Zusammenschau freuen. Wie läuft so eine Programmfindung ab?

Hinter dem Festival steht ein “kleines Kollektiv“, das gemeinsam sucht und gemeinsam entscheidet, wer auf dem Festival spielt. Das läuft sowohl über klassische Booking-Anfragen als auch über Anfragen von Bands und KünstlerInnen selbst. Die Frage ist nur: wie findet man all diese wilde Musik?

“Dadurch, dass unsere Berufe alle in der Musik-Industrie zu verorten sind, ergeben sich viele Möglichkeiten neue Musik zu entdecken, oder auch alte Musik neu zu entdecken. Wir schauen natürlich auch auf das Programm von anderen Festivals, wir besuchen Veranstaltungen und lassen uns überall da inspirieren wo man sich inspirieren lassen kann.” – Christian Kühr (Booking)

Neben KünstlerInnen, die aus den letzten beiden Jahren transportiert werden konnten wie Omni Selassi, den Freemath-rockern Horse Lords oder der Wahl-Berlinerin und Szene-Größe Anika sind viele neue Namen hinzugekommen. Etwa das Space-Jazz-Dance-Trio The Comet is Coming, das sein neues Album “Hyper-Dimensional Expansion Beam” vorstellen wird, oder das “multimedia collective” Crack Cloud aus Vancouver, das sich ursprünglich als eine Art Anti-Drogen-Selbsthilfegruppe formierte und ihren illustren barocken art-rock samt letztem konzeptuellem statement “Tough Baby” unter die Leute bringt.

Das türkisch-französische Duo Kit Sebastian bringt 60s Pop und Psychedelia, anatolische, südamerikanische und afrikanische Einflüsse zusammen und bleibt ohne dabei irgendwie ins verstaubte Zitieren zu geraten sehr ansteckend tanzbar. Aber auch die Sängerin und Violinistin Mabe Fratti mit ihrem Jonglieren zwischen abstrakt-verschachtelter Klangorgie und beseeltem intimem Spiel wird ebenso vorstellig werden wie Ezra Furman mit ihrem feierlichen orchestralen Abgesang aufs Patriarchat, die zuweilen klingt wie Deerhunter in ihren poppigsten Momenten.

Das komplette Line-Up findet ihr hier (und den Timetable hier):

Quelle: Transcentury Update FB-Account

Sicherlich habt auch ihr euch gefragt, was es mit dem Untertitel “back to listening” auf sich hat. Im Vorwege des Festivals wurden zunächst nicht einfach konventionellerweise die Namen der Bands gedroppt, sondern vielmehr Mixtapes hochgeladen – nach 2 Jahren Pandemie und allgemeinem Wandel sollte “das Hören wieder in den Vordergrund” gerückt werden:

“[…] natürlich sehen wir wie sich die Musik und das was drumherum passiert verändert […] an vielen Stellen [geht es] auch nicht mehr darum, dass das was man hört auch eine Bedeutung hat, Emotionen vermittelt, relevante Inhalte vertreibt oder Nachhaltig ist. Musik ist, so wie fast Alles, zum Opfer der Schnelllebigkeit geworden und wir wollen, ohne dabei bösartig oder überheblich zu wirken, zum Nachdenken anregen und einen Ort schaffen an dem das Hören wieder mehr in den Vordergrund rückt.” – Christian Kühr (Booking)

In insgesamt fünf Spielstätten wie dem UT Connewitz oder dem Conne Island wird es also von Donnerstag bis Sonntag sehr viel zu tun und zu hören geben. Wer neben all der durchaus nicht anspruchslosen Beschallung Erholung braucht, kann sich in die Lesung von Christoph Dallach & Andreas Dorau und ihrer Historiographie “Future Sounds” über die Geschichte des deutschen Krautrock aus Beteiligten-Sicht setzen. Neben der Buchlektüre wird es allerdings auch hier nicht musikfrei zugehen, wenn die beiden alte Platten von Faust, Can und Neu! auspacken.

Worauf sich die BookerInnen am meisten freuen, wollten sie uns nicht verraten, allerdings durften wir ihnen die Aussage entlocken, dass Leipzig nichts hat, was Dresden nicht auch hat. Vielleicht dürfen wir uns also auch bald über ein Festival dieser Art freuen? Wer weiß, definitiv wünschen wir dem Transcentury Update wenn auch keine Unsterblichkeit, dennoch ein langes Leben und viele weitere grenzübertretender Line-Ups.

Ihr könnt für Donnerstag, Freitag und Sonntag jeweils ein Ticket gewinnen. Schreibt dafür eine Mail an chefredaktion@campusradiodresden.de mit dem Betreff “Transcentury Update Verlosung”, wir geben die GewinnerInnen dann in Kürze bekannt.