Hip-Hop ist wohl das Genre, welches in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum die größten Wandlungen vollzogen hat. Schon der Begriff „Genre“ scheint inzwischen zu klein gegriffen – der deutsche Hip-Hop ist viel mehr zu einer Art großer Spielwiese geworden, auf dem sich alle möglichen verschiedenen Einflüsse und daraus entstehende Abspaltungen tummeln – zu einer Art Übergenre, dessen Zweige oft nur noch durch die Genre-Einordnung im Plattenladen zusammengehalten werden.
Die neuen Alben von Casper und Rin, beide am 1. September erschienen, zeigen eindrucksvoll, welche Freiheiten sich inzwischen im Deutschrap aufgetan haben und auf wie unterschiedliche Art und Weise Künstler versuchen, ihre Nische auf dieser Spielwiese zu finden.
Vielleicht wirkt die Idee, Rin und Casper zu vergleichen, auf den ersten Blick ein wenig abwegig, doch gerade die Gegenüberstellung zweier so verschiedener Herangehensweisen an den Versuch, sich vom klassischen Oldschool HipHop abzugrenzen, macht diesen Vergleich so spannend.

Lang lebe der Tod

BY

Casper

Release

01.09.2017

Label

Sony Music Entertainment GmbH

Casper ist – im Gegensatz zu Rin – kein sonderlich neuer Name mehr in der Szene und seit einigen Jahren auch nicht mehr nur dort. Nach Hin zur Sonne, XOXO und Hinterland ist Lang lebe der Tod sein nun viertes Studio-Album. Die Erwartungen hätten nach den sowohl komerziell erfolgreichen als auch von Kritikern größtenteils gut bewerteten XOXO und Hinterland nicht viel größer sein können – dazu kommt noch, dass der Release von Lang lebe der Tod eigentlich vor rund einem Jahr geplant war, bevor Casper die Notbremse zog und erklärte, das Album sei noch nicht so weit. Die große Frage ist nun natürlich: Hat sich das Warten gelohnt?
Die kurze Antwort darauf wäre: Ja, aber.
Casper ist inzwischen dafür bekannt, keine Angst davor zu haben, seinen Stil von Album zu Album zu wechseln – gerade im Deutschrap ein ziemlich seltenes Merkmal, welches ihn auch so interessant macht und einen Großteil seiner Qualität auszeichnet. Als im Juli 2016 die erste Single mit dem Titel “Lang lebe der Tod” erschien, wirkte es so, als würde Casper seiner Stil-Untreue treu bleiben. Das Lied klang nach bombastischem Industrial-Rap, ein bisschen nach Kanye Wests Album Yeezus, viel düsterer als Hinterland, gleichzeitig wütender und weniger weinerlich als XOXO. Der Refrain, gesungen von Sizarr-Sänger Fabian Altstötter, Dagobert und allen voran Blixa Bargeld, erinnerte an einen dämonischen Totengesang – kurz: ein Hit.
Auch „Sirenen“ – die zweite Single – klang agressiv und neu für Casper. Als dann jedoch als dritte und wohl größte Single „Keine Angst“ mit Drangsal erschien, dachte man sich: huch? Das hätte aber auch von XOXO sein können. Ein melancholischer Aufbruchs-Gitarrenbeat? Check. Ein Text über das Gefühl der Einengung und dass man irgendwie raus muss? Check. Eine poppig-motivierende Gesangshook? Check. Das soll nicht heißen, dass “Keine Angst” ein schlechtes Lied ist, es wirkte nur nach den ersten beiden Singles etwas fehl am Platz und stilistisch weniger „neu“. Tatsächlich gibt es nun, wo das ganze Album erschienen ist, einige solcher Momente in den 40 Minuten Laufzeit von Lang Lebe der Tod. „Flackern, Flimmern“, der Schlusspunit des Albums, ist hier am deutlichsten hervorzuheben – hier sind textliche Referenzen zum XOXO-Song „Alaska“ zu finden und der Vibe ist auch ein ähnlicher. Lang Lebe der Tod ist wohl das erste Album Caspers, auf dem er sich wiederholt einem von ihm bereits gelieferten Stil bedient. Zum Glück macht er das aber ziemlich gut, sodass zwar teilweise ein gewisses „das kenn ich schon“-Gefühl eintritt, die Songs aber dennoch so rund sind, dass das nicht weiter stört. Zudem gibt es genug Lieder, die auch etwas neues bieten – “Morgellon” zum Beispiel, eine wabernde Abrechnung mit Verschwörungstheoretikern auf einem energisch treibenden Beat. Thematisch ist Casper hier auf einmal zumindest einigermaßen politisch, was man so von ihm auch nicht kennt. Auch „Lass sie gehen“ mit Features von Ahzumjot und Portugal. The Man ist ein Highlight auf dem Album – Casper rappt über die Probleme seiner Bekanntheit, dazu kommt dann tatsächlich eine Hook mit Autotune, wow!
Objektiv betrachtet, falls das möglich ist, ist Lang lebe der Tod wohl tatsächlich Caspers bestes Album geworden – es ist abwechslungsreich, seine kratzige Stimme wird von den rundum gelungenen Beats bestens inszeniert und es gibt kein Lied, welches zum überspringen einlädt – bei nur 10 Titeln kann man das aber auch so erwarten. Wie gesagt, manchmal fehlt ein wenig das „Neue“, was aber eigentlich nichts an der Qualität des Albums ändert. Man darf hoffen, dass Lang lebe der Tod die Tür zur Schublade des Emo-Rappers, in der er seit XOXO in den Köpfen einiger miesen Hater eingesperrt war, endgültig aufsprengen wird.

Eros

BY

Rin

Release

01.09.2017

Label

DIVISION

Anders als Casper setzt Rin nicht auf Einflüsse des Rock oder thematische Lieder, die eine zusammenhängende Geschichte erzählen. Bei Rin geht es ums Gefühl – darum, einen Vibe zu erzeugen.

Eros, benannt nach dem griechischen Liebesgott, ist das erste Album des Manns mit den schönen langen Haaren. Seine EP Genesis aus dem letzten Jahr klang noch sehr undurchdacht und schwankte sehr in seiner Qualität. Seitdem ist viel passiert – Rin ist zu einer Art Internetphänomen geworden, seine Musikvideos erfreuen sich großer Popularität und er wird auf den Thron der großen neuen Hoffnung des Deutschrap gesetzt. Außerhalb seiner Musikvideos hielt Rin sich jedoch immer sehr bedeckt – keine wirklichen Interviews, keine große Promo fürs Album – Eros kann man nicht mal in einer Deluxe Box mit T-Shirt und Sticker für 60€ kaufen (wie z.B. bei Casper). Nein, Rin scheint es wirklich nur um seine Musik zu gehen. Und um teure Klamotten und Zigarettenkonsum natürlich, sein Lieblingsthema. Ähnlich wie Kollege Yung Hurn ist er aber trotzdem, oder gerade deswegen, gefragt wie kaum jemand anderes. Nach dem Splash Festival kursierten Videos seines dortigen Auftritts im Netz. Da sah man Rin gut gelaunt auf der Bühne herumhüpfen, ab und zu mal ein, zwei Wörter übers Halbplayback mitrappen. Was sich vor der Bühne abspielte, war aber viel interessanter – die Leute rasteten komplett aus, brüllten alles mit und sprangen um die Wette in- auf- und übereinander. Ja, der Hype war groß um Rin und nun kann er endlich beweisen, ob er diesem Hype denn gerecht wird.
Rins Musik ist wohl am ehesten ins Untergenre des Cloud Rap oder Trap eine. Solche Musik zu bewerten ist nicht einfach, und sie für Leute, die solche Musik nicht kennen oder nur mal kurz reinhören, schmackhaft zu machen, ist quasi unmöglich. Liest man die Texte ohne Musik, fragt man sich wirklich, ob denn alle verrückt geworden sind und wie man so einem hohlen Müll denn feiern kann. Hört man dann aber das fertige Produkt, zumindest wenn man den Punkt erreicht hat, an dem man versteht, worum es in der Musik geht, ändert sich das. Irgendwie doch ganz interessant, denkt man und kann auf einmal nicht mehr aufhören, sich anzuhören, wie Rin darüber rappt, wie viele Surpreme Klamotten er sich donnerstags so kauft. Die Faszination der Musik verbirgt sich hinter der Kunst, Gefühle zu vermitteln und darin ist Rin wohl einer der besten. Die Texte sind meist unzusammenhängende Satzfragmente, klingen aber einfach wahnsinnig cool. Die Stärken von Eros liegen vor allem in den nicht ganz so ernstzunehmenden Liedern, in denen Rin einfach seinen Lebensstil beschreibt – viele davon waren schon vor Release des Album hörbar, neue Songs wie “Nightlife” oder “Bass” stehen diesen aber in nichts nach und sind einfach eingängige Ohrwürmer, die funktionieren.
Rin kann aber auch anders. Gefühlvolle Autotune-Gesangssongs wie “Ich will dass du mich brauchst” oder das fabelhafte „Colette“ klingen nicht nur sehr ästhetisch sondern sind teilweise tatsächlich irgendwie ergreifend. Diese Songs sind eigentlich die echte Überraschung des Albums. Rin traut sich, Gefühle zu zeigen und kann diese auch gut auf die Zuhörerschaft übertragen.
Einer der größten Gründe, Rin zu hören, waren in der Vergangenheit die Beats. Produzenten wie der allseits beliebte Lex Lugner oder Minhtendo scheinen mit Rin einen Rapper gefunden zu haben, mit dem sie in perfekter Symbiose arbeiten können. Eros‘ Beats sind wahnsinnig abwechslungsreich – vom 80er Jahre Disco Sound auf „Sag mir wenn du high bist“ über karibisches Geklimper auf der zarten Ecstasy Hymne “Monica Belucci” bis hin zum Beat von “Bros”, der klingt, als wäre er aus einem alten Gameboy Spiel gesamplet, ist alles dabei – wirklich Beat-technisch eines der facettenreichsten Deutschrapalben des Jahres und auch insgesamt wirklich ein sehr gelungenes Debüt-Album. Klar, manchmal geht es dann doch ein bisschen zu weit mit Rins teilweise wahllosen wirkenden Texten, aber das sind wirklich Ausnahmen und man muss eben auch bedenken, dass der Mann noch jung ist und sich sicherlich noch steigern wird, worauf man sich definitiv freuen kann – wenn man solche Musik insgesamt denn mag.

 

Casper und Rin sind beide in dem was sie machen sehr, sehr gut. Das eigentlich schöne an den beiden Alben ist jedoch wirklich die Erkenntnis, wie unterschiedlich deutscher HipHop im Jahr 2017 ist. Auch wenn man Casper für einen weinerlichen Jammerlappen hält oder Rin für einen vollgekifften Idioten, sollte man doch einen Moment innehalten und würdigen, dass beide definitiv ihre Daseinsberechtigung im Deutschrap haben und zu dessen Vielfalt beitragen.

 

P.S.: Rin ist am 30. September im Puschkin in Dresden, Casper kommt am 21.11. nach Leipzig.