“Messer haben es sich zur Aufgabe gemacht, die ausgetretenen Pfade der deutschsprachigen Popmusik zu erneuern oder sie zumindest ein wenig breiter zu machen”, so schreibt Campusradioredakteur Yannic im Halbjahresrückblick über die im Juni erschienene EP Kachelbad von Messer, die mit den Songs “Der Mann, der zweimal lebte” und “Detektive” schon einen Vorgeschmack auf das neue Album liefern sollte. Vom ausgetretenen Pfad abgekommen ist die Band nicht nur bei der Vertonung der Romy Schneider-Tagebücher, auch ihr Konzert “Messer über Boris Vian” klingt nicht gerade wie eine typische Punk-Rock-Aufgabe. Dies hat natürlich nun auch auf ihr neues Album abgefärbt, unter anderem ist das Wort “Schaum” immer wieder in Texten präsent, wobei Sänger Henrik Otremba wohl besonders von Vians Werk “Der Schaum der Tage” beeinflusst war. Ebenso wie Schaumblasen immer weiter zusammenschrumpfen und den eingeschlossenen Raum verkleinern, so wirken die neuen Messer-Lyrics auf den Hörer seltsam klaustrophobisch.
Verwechselst Liebe mit Bewunderung/ manchmal Bewunderung mit Liebe
Etwa in “Niemals”: der Text erzählt von eigentlich alltäglichen Beobachtungen, von zwei sich küssenden Männern und einem Kind, das beobachtend stehen bleibt. Für eine kurze Sekunde erwartet man ein Urteil dazu im nächsten Vers, vielleicht im übernächsten, aber Otremba fährt kommentarlos fort. Erst dann fühlt man sich in seinen eigenen Stereotypen ertappt, sogar in der eigenen Sucht nach einem “Skandal”, einer Möglichkeit zum Shitstorm, einer klaren Schwarz-Weiß-Malerei. Hier spielen Messer auf geniale Weise mit dem Zuhörer und engen ihn in seinen eigenen Gedanken ein, in der Hoffnung, er möge sich davon freisprengen wie aus einer zerplatzenden Seifenblase.
“Schwarzer Qualm”, Henrik Otremba zufolge ein sehr politisches Stück, ist auch der einzige Song, zu dem er eine Interpretationshilfe mitliefert. Es geht um die Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer, Deutschland wird mit einem Haus mit Bauschaden verglichen, im Hintergrund wabert ein Synthesizer und eine scharfe Stimme flüstert stellenweise zum Gesang mit. Statt einer direkten Stellungnahme wirkt die Bildsprache, die letzten Endes jeden Song mit nach Aufmerksamkeit heischendem Musikvideo oder gar die Betroffenheitskeule schwingenden Texten aussticht.
Die Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass die Musik nicht nur zur reinen Unterhaltung gehört wird, sondern auch ein Nachdenken einsetzt. Zwischendurch kann es zwar auch vorkommen, dass man trotz sämtlicher Interpretation immer noch keinen lyrischen Sinn findet, wie beim Titel “Detektive” – doch hier ist zum Glück der musikalische Unterhaltungswert hoch genug, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Jalousie wirkt insgesamt deutlich verspielter als die Vorgängeralben, am einfachsten erkennbar an der Percussion, die man in “Der Mann, der niemals lebte” hören kann und am liebsten umarmen würde, solch eine Leichtigkeit versprüht das Stilelement. Die Albumeröffnung erfolgt gar durch eine Orgel, und auch gitarristisch ist das Niveau trotz des Abgangs des Bandmitglieds Pascal Schaumburg konstant geblieben. So viel instrumentelle Abwechslung haben sich wohl die wenigsten erträumt, und noch weniger können ernsthaft etwas dagegen haben. Jalousie zeigt eine Band, die sich dynamisch und schlau weiterentwickelt, ohne die wesentlichen Ursprünge außer Acht zu lassen. Anders gesagt: Wer das neue Messer-Album nicht leiden kann, hat Deutschpunk nie geliebt.